ich weiß gar nicht wo ich
beginnen soll. Wie ihr wisst, bin ich am Samstag nach Beit Awwa,
einem Dorf in der Nähe von Hebron, gefahren. Dort fand am Sonntag
eine Demonstration gegen den Bau der illegalen Mauer statt. Für
deren Konstruktion werden dort nicht nur Olivenbäume radikal
entwurzelt, die Mauer verlauft auch direkt am Dorf, an den Häusern
und der Schule vorbei. Sie wird auch auf dem Boden eines Friedhofes
des Dorfes gebaut, was ich unfassbar finde. Der ganze Boden wird
vorher durchwühlt. Wenn ich mir vorstelle, was es für einen Aufstand
gäbe, wenn dies jemand in Deutschland machen würde!!!! Und hier und
in dem Rest der Welt interessiert das niemanden- außer dem Dorf,
dessen Vorfahren dort ihren Seelenfrieden haben sollten.
Das Dorf ist eigentlich nur
eine halbe Stunde von Hebron (Stadt) entfernt (mit dem Auto), aber
die beiden Strassen nach Hebron sind nur für Siedler oder für das
Militär passierbar- die Dorfbewohner müssen auf Umwegen nach Hebron
(dort gehen die meisten in die Schule, Universität oder zur Arbeit)
kommen und brauchen dafür über eine Stunde. Und dies auch nur dann,
wenn diese Wege (Strassen kann man diese holprigen Strecken kaum
nennen) geöffnet sind - oft blockiert das Militär die "Strassen" und
legt Felsbrocken auf die "Strassen", so dass sie teilweise
wochenlang für Autos unpassierbar sind.
Jedenfalls war diese Demo als
absolut gewaltfrei geplant. Die Dorfbewohner wollten dies und haben
im Vorfeld mit allen Jugendlichen gesprochen und ihnen erklärt, dass
sie das Steineschemissen auf jeden Fall unterlassen sollen. Wir
waren zwischen 50 und 70 Menschen, unter uns viele Frauen. Wir kamen
sehr nahe zu der Konstruktion der Mauer, wo drei Bagger den Weg für
die Mauer "freimachten". Es war absolut friedlich, die Frauen waren
auch ganz vorne. Von Anfang an war geplant, nicht länger als zwei
Stunden zu demonstrieren- damit jegliche Form von Eskalation
vermieden ist. Es war insgesamt eine unsichere Atmosphäre unter den
teilnehmenden Dorfbewohnern- für viele Frauen war es die erste
Demonstration und aufgrund der vielen Verletzten bei der
Demonstration in der Woche davor hatten alle Angst.
Auf einmal- und obwohl es
wirklich keinen Grund gab; nicht eine einzige Person hatte Steine
geschmissen- begannen die Soldaten wie verrückt in die Menge zu
schießen. Nicht nur Tränengas und sogenannte rubber bullets, auch
mit richtiger scharfer Munition. Und dies obwohl wir wirklich am
Ende der Demonstration waren und viele bereits los, zurück in das
Dorf gingen. Ich stand mit anderen Internnationalen direkt vor den
Soldaten und wir beschworen sie doch bitte aufzuhören und den
Dorfbewohnern Zeit zu lassen um friedlich in ihr Dorf zu gelangen.
Während wir dies taten, schossen sie jedoch einfach weiter auf die
Menschen. Jedoch nicht ziellos, sondern sehr bewusst und direkt.
Maja, ein Mädchen aus Dänemark, die sich während der ganzen
Demonstration im Hintergrund gehalten hatte und nur gefilmt hatte,
wurde nachdem sie einen Soldaten gefilmt hatte, der auf einen Jungen
zielte, mit einer sogenannten Gummikugel, in Wirklichkeit eine
Stahlkugel mit Plastikmantel, angeschossen. Sie hatte nichts getan
außer zu filmen- dies ist vermutlich der Grund, es passte dem
Soldaten wohl nicht eine Zeugin für seine Handlung zu haben.
Doch nicht nur sie wurde
angeschossen, viele wurden getroffen. Ein 18- Jähriger (Hussein)
wurde mit scharfer Munition viermal in die Hand geschossen, als er
reflexartig direkt in den Lauf des Maschinengewehrs fasste, als ein
Soldat ihm damit auf den Kopf schlug. Er wird seine 4 Finger der
rechten Hand vermutlich nie wieder bewegen können, nur den Daumen
kann er noch bewegen. Doch was nützt ihm dies? Es ist seine Hand,
seine rechte Hand, auf die er angewiesen ist um irgendwann- sowieso
schlecht bezahlte, aber immerhin- Arbeit zu finden. Und dies nur da
er sich an einem friedlichen Protest auf seinem Grund und Boden
beteiligte! Ich war im Krankenhaus mit Maja und habe ihn und seinen
Vater gesehen, es war schrecklich. Er ist jedoch nicht der einzige,
es gab viele Fälle von Verletzten. Und drei von ihnen waren mit
scharfer Munition getroffen worden. All dies geschah während wir die
Soldaten anflehten, sie mögen uns doch bitte wenigstens zwei Minuten
geben, um sicher in das Dorf zurückkehren zu können.
Dies ist jedoch leider immer
noch nicht alles: die Soldaten umzingelten später- nach der
Demonstration- noch das Dorf und schossen mit Tränengas auf das
Medical Center. Ich kann nicht begreifen, wie man so etwas machen
kann. Sie haben an jenem Tag so viele unschuldige Menschen
angeschossen, und mussten danach noch das Medical Center, in das die
Verletzten gebracht werden, angreifen- es ist einfach unbegreiflich.
Das Tränengas, dessen sind wir uns sicher, war auch kein normales
Tränengas. Ich selbst war mehrere Male bereits in einer
"Tränengaswolke" und habe dies gut überstanden, aber an diesem Tag
dachte ich wirklich ich ersticke und sterbe, als neben mir das
Tränengas explodierte. Ungefähr vierzig Menschen sind an diesem Tag
alleine wegen dem Tränengas total zusammengebrochen, umgekippt und
mussten sich übergeben. Und dies obwohl wir eh so wenige
Demonstranten waren!!!!!
21 Menschen wurden insgesamt
angeschossen, sechs mussten vom Medical Center nach Hebron in das
Krankenhaus gebracht werden. Darunter war auch Maja. Ich bin mit ihr
mit im Krankenwagen gefahren und war bis heute mit ihr dort. Ich
habe mit ihr das Training gemacht und wir waren seitdem die ganze
Zeit überall gemeinsam und haben uns angefreundet. Es hat mir so
leid getan für sie (für die Palästinenser natürlich genauso), vor
allem da sie sich wirklich im Hintergrund gehalten hat. Das einzig
gute ist, dass es überall in den Medien kam und permanent ihr Handy
klingelte mit irgendwelchen Journalisten aus Dänemark- so konnte sie
ihnen wenigstens alles erzählen. Sie wird die Soldaten auch
anzeigen. Zum Glück haben wir alles gefilmt und somit auch genügend
Beweismaterial, um zu zeigen, dass der Soldat sehr bewusst und mit
voller Absicht auf sie schoss und sie ihm absolut keinen Grund dafür
gegeben hatte.
Im Krankenhaus selbst war ich
wieder einmal absolut berührt von den Palästinensern. Das ganze Dorf
kam, um die Verletzten zu besuchen. Sie waren auch keineswegs voller
Hass oder Verbitterung, sonder einfach nur traurig. Ihnen wird das
Land weggenommen, sie haben kaum Rechte und selbst bei einen
friedlichen, gewaltfreien Protest, werden sie mit einer solchen
Härte "bestraft". Ich habe mich schrecklich hilflos gefühlt, und mir
hat es unglaublich weh getan, die ganzen Verletzten zu sehen, die
den "Fehler" gemacht hatten gewaltlos zu protestieren.
Als ich heute vor der
Entlassung mit einem Krankenpfleger sprach, zeigte er mir an den
Wänden des Krankenhauses überall Einschusslöcher- sie stammen von
der Invasion (sorry, anders kann man es nicht nennen) Hebrons im Mai
2002. In der Nähe des Krankenhauses wurden Schützen vermutet-
komischerweise wurde bei der Suche nach den "gefährlichen
Terroristen" jedoch das Labor des Krankenhauses zerstört (und eine
Patientin schwer verletzt).
Ich bin sehr müde und muss
jetzt echt schlafen gehen. Wir sind erst vorhin aus Hebron gekommen.
Maja fliegt morgen von Tel Aviv aus zurück nach Dänemark. Zwei sind
noch im Krankenhaus, Hussein und der 20- jährige Najeeb. Najeeb
wurde von einem Rubber Bullet getroffen, das 7 cm in seinen Rücken
eindrang.
Ich könnte noch so viel
schreiben, dies war nur eine kurze Zusammenfassung. Im Internet auf
der ISM Seite steht noch mehr, und täglich wird daran gearbeitet um
es zu vervollständigen.
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Von: ism-germany(at)gmx.net [mailto:ism-germany(at)gmx.net]
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ISM (International Solidarity Movement) ist
einer Bewegung palästinensischer, internationaler und israelischer
Friedens- und Menschenrechtsaktivistinnen, die mit gewaltfreien
Mitteln für ein Ende der israelischen Besatzung arbeiten und sich
für einen gerechten Frieden in ISrael und Palästina einsetzen.