Keine
Kontrolle über den Abzugfinger
(oder Über Terror
und Gegenterror ER)
Uzi Benziman, Haaretz 19.10.05
Am 27. August 2001 hatte das israelische Militär die
Möglichkeit, Abu Ali Mustafa, Generalsekretär der
Volksfront für die Befreiung Palästinas, zu ermorden
– und es handelte.
Die Antwort: Mitglieder der Organisation ermordeten
den Minister Rehavam Ze’evi.
Am 14. Januar 2002 liquidierte Israel Raed Karmi,
einen Tanzimführer aus dem Raum Tulkarem. Drei Tage
später ermordete ein Aktivist der Al-Aqsa-Brigaden
sechs Menschen bei einer Bat-Mitzwa-Feier in Hadera.
So übernahm die Fatah die Taktik der Hamas und des
islamischen Jihad, nämlich Selbstmordanschläge jetzt
auch innerhalb Israels auszuführen.
Die seitdem vergangene Zeit müsste den Führern des
Verteidigungsestablishments doch klar gemacht haben,
dass die Anwendung von brutaler Gewalt gegen
Palästinenser eine schmerzvolle Antwort auslöst –
so wie es vor wenigen Tagen noch einmal bei dem
Terrorakt an der Gush Etzion –Kreuzung nahe Eli
geschah.
Als die drei jungen Israelis zur letzten Ruhe gelegt
wurden und sieben Verwundete sich in Agonie
befanden, infolge des von Palästinensern
begangenen Terroraktes, gingen die Gedanken zu den
trauernden und betroffenen Angehörigen. Und die Wut
über die mörderische palästinensische Gewalt kommt
wieder in einem hoch. Doch, auch wenn man mit den
Opfern fühlt, sollte man nicht vergessen, auf die
Versäumnisse der professionellen Ränge im
Verteidigungsestablishment und der dafür
verantwortlichen politischen Ebene hinzuweisen.
Seit Ende des Abzugs aus dem
Gazastreifen haben die israelischen
Sicherheitskräfte mindestens 24 Palästinenser getötet, einschließlich eines 13Jährigen
aus dem Askarflüchtlingslager bei Nablus und zwei
Jugendliche, 16 und 17, in Tulkarem (B’tselem:
30.September 2005) Während der letzten zwei Monate
hat Israel etwa 700 Palästinenser als
angeblich „Gesuchte“ verhaftet. Täglich wird die
Öffentlichkeit über Razzien/Überfälle der IDF oder
von Undercover-Einheiten der Grenzpolizei innerhalb
der Westbank informiert. Die Folge davon sind noch
mehr Verhaftungen, manchmal mehrere Dutzend am Tag.
Und manchmal enden die Konfrontationen mit dem Tod
von gesuchten Palästinensern. Man fragt sich, ob es
eine effektivere Weise gibt, um Sicherheit zu
erlangen.
....
Trotzdem schließt es etwas
Exhibitionistisches ein, das eher nachteilig als
förderlich ist: die IDF operiert in der Westbank,
als wäre es ihr eigener Hinterhof. Obwohl das Gebiet
teilweise der PA zur Kontrolle übergeben wurde, geht
das israelische Militär mit erhobenem Haupt dort
hinein und demonstriert überall seine Präsenz.
Unter anderem scheint es, als ob diese Methode dafür
bestimmt ist, zum einen die Palästinensische Behörde
herauszufordern und zum andern, um die
Verantwortlichen der Terrororganisationen zu
verringern.
Die Morde an Abu Ali Mustafa und Raed Karmi lehren
im Nachhinein, dass die in diesen Operationen
liegende Provokation ein wichtiger Faktor bei den
Entscheidungen der palästinensischen Terrorgruppen
war, hart zu reagieren. Der Eindruck, den man von
den in der Westbank durchgeführten Operationen der
IDF erhält, ist, dass während der Operationen
politische Überlegungen auf der Diskussionsagenda
nicht hoch angesiedelt sind. Die Arroganz, die sich
in ihnen widerspiegelt, ist ein Hinweis auf
militärische Engstirnigkeit, der es daran mangelt,
die Psyche des Feindes mit in Betracht zu ziehen.
Man nimmt auch keine Rücksicht auf die Bedürfnisse
von Abu Mazen, der angeblich ein Partner und kein
Rivale ist.
Diese Politik fällt unter die
„tägliche Sicherheits“-Routine, die vom
Ministerpräsidenten und Verteidigungsminister
angeordnet wird; die übrigen Minister haben hier
nichts zu sagen. Es ist seltsam und kann einen
wütend machen, wenn man zusehen muss, wie die
Minister von Labor diese Situation akzeptieren. Sie
begründen ihre fortgesetzte Partnerschaft in dieser
Regierung mit dem Wunsch, mit den Palästinensern zu
einer Übereinkunft zu kommen, und jeden scharfen
rechten Ruck in Ariel Sharons Politik zu
verhindern. Wie will Shimon Peres und seine Kollegen
diesen Anforderungen gerecht werden, wenn sie keine
Kontrolle über die Finger auf dem Auslöser haben?
(dt. und gekürzt:
Ellen Rohlfs: was man in unseren Medien nicht hört:
24 getötete Palästinenser ... |