Texte von Viktoria
Buch
Beobachtungen an den
Checkpoints
Eine Karte, die die
Checkpoints zeigt
Rede bei
einer Peace-Now Demo (29.11.03) von Viktoria Buch, Machsom Watch
Ich bin ein Mitglied der
Frauenmenschenrechtsgruppe Machsom Watch. (Checkpointbeobachter).
Die Organisation überwacht militärische Kontrollpunkte (CP), die die
Bewegungsfreiheit der Palästinenser überall in der Westbank
einschränkt. Wir bemühen uns, das Bewusstsein der israelischen und
internationalen Öffentlichkeit auf das zu lenken, was dort
geschieht. Außerdem versucht Machsom Watch (MW) gegen
Menschenrechtsverletzungen an den CP vorzugehen. Dieses Tun ist
nicht unproblematisch, da allein die Unzahl bestehender CPs schon
eine Menge von Menschenrechtsverletzungen in sich birgt und die
Soldaten an den CP nach Befehlen ihrer Vorgesetzen handeln. Hin und
wieder gelingt es uns zu helfen, indem wir zwischen Palästinensern
und Soldaten vermitteln, oder indem wir in besonders krassen Fällen,
die nicht von Befehlen gedeckt sind, Hilfe leisten bzw. besorgen.
Ich möchte euch gern von
einem Fall erzählen, den wir kürzlich im Raum Nablus gesehen haben.
Und ich möchte mit Euch ein paar Gedanken teilen, die das wirkliche
Ziel dieser Absperrungspolitik ist.
Ein großer Teil der
Straßensperren trennt nicht Israelis von Palästinensern, sondern
Palästinenser von Palästinensern. Besonders palästinensische Städte
wie Nablus sind umgeben von einem Ring von CPs, die die Bewegung
zwischen der Stadt und den umgebenden Dörfern einschränkt. Die CPs
machen es für die Dorfbewohner schwierig, die Dienste der Stadt zu
erreichen wie Geschäfte, Krankenhäuser, Schulen, Arbeitsplätze etc.
Im Augenblick sind die CPs
im Raum Nablus von Elitefallschirmeinheiten besetzt. Ihre andere
Aufgabe ist es, für die Sicherheit der benachbarten Siedlungen zu
sorgen.
Lasst mich euch eine
„typische“ Straßensperre beschreiben: zwei oder drei Soldaten stehen
in der Straßenmitte. Ihr Job besteht darin, die Identitätskarten zu
kontrollieren. Die Palästinenser warten in einem bestimmten Abstand
einer „heiligen“ Plastikbarriere. ( Gleich erkläre ich, warum die
„heilig“) ist. Zusätzliche Soldaten stehen zur Sicherheit in der
Nähe. Häufig haben sie ihre Waffen gezielt auf die Warteschlange
gerichtet. (wir versuchten, die Soldaten davon zu überzeugen, dass
es unnötig ist, verängstigte Menschen derart zu behandeln, doch
hatten wir dabei keinen Erfolg). Die Palästinenser warteten also
eine Stunde und noch eine und manchmal noch viel länger. Wenn eine
Person die Spitze der Schlange erreicht hat, wird sie vom Soldaten
aufgefordert, zu kommen. Die ID-Karte wird gezeigt, manchmal ist der
Mantel offen, um deutlich zu machen, dass man keine Explosivstoffe
bei sich trägt. Man wird gefragt, welches Ziel man hat. Und dann
entscheidet ein 19-jähriger Soldat, ob die Person passieren darf -
entsprechend den Tagesbefehlen. Ich fand keine Logik in diesen
Befehlen. An einem Tag darf jeder passieren, an einem anderen ist
der CP für alle geschlossen. Für eine Zeitlang dürfen Studenten
(junge und gesunde Leute) passieren, während die Älteren und die
Kranken angehalten werden. Nach ein paar Wochen werden die Befehle
umgedreht: jeder ab einem gewissen Alter - sagen wir mal 45 oder 35
- dürfen durch, während Studenten von den Befehlen nicht
genannt werden. Leute, die nicht zu den üblichen Kategorien gehören,
die nicht passieren dürfen, müssen Sondergenehmigungen haben. An
solche Sondergenehmigungen von der israelischen Behörde zu kommen,
ist nicht gerade mit Spaß verbunden. Und die Zahl verschiedener
Genehmigungen, die von den Behörden gefordert werden, steigt
zusehends. Zum Beispiel ein Palästinenser mit einer schwer zu
erhaltenen Arbeitsgenehmigung in Israel muss noch eine „Genehmigung,
zum Passieren des CPs“ erhalten. In der vergangenen Woche
beobachteten wir folgende Szene: ein Palästinenser zeigt ein Papier
mit dem Termin einer Klinik in Nablus. „Warum fährst du nicht in
einem Ambulanzwagen?“ fragt der Soldat. „Ambulanzen sind sehr teuer.
Ich brauche keinen. Ich muss nur zur Klinik“ „Dann kannst du
nicht passieren, heute werden nur medizinische Notfälle in einem
Ambulanzwagen durchgelassen.“
Manchmal entscheidet ein
Soldat, dass ein Palästinenser „verdächtig aussieht“. Dann wird ihm
die ID-Karte abgenommen und die ID-Nummer wird per Telefon zum GGS
(Geheimdienst)-Computer übermittelt. Es scheint ein erstaunlich
langsamer Computer zu sein. Der Besitzer dieser ID-Karte muss (oft)
stundenlang am CP warten, bis die Sicherheitsaufklärung zurückkommt.
Wenn man sich mit den Soldaten in eine Debatte einlässt, dauert die
Rückgabe als Strafe extra lang oder es geschieht noch Schlimmeres.
Diese Routine hat auf die
Psyche der Soldaten keinen guten Einfluss. Für uns als Beobachter
ist es schmerzlich zu sehen, wie sich ihre jungen Gesichter
verfinstern, ihre Stimmen rauer werden, ihre Körpersprache
gewalttätig. Der 1. Akt, den diese Jungs als Erwachsene tun müssen,
ist, Agenten der Besatzung zu sein. Sie erhalten eine enorme Macht
gegenüber empfindlichen und zornigen Palästinensern. Gleichzeitig
haben die Soldaten Angst. Die Situation vergiftet ihre Seelen. **
Heute morgen erlebten wir
ein besonders hässliches Beispiel an der Bet Furik -Straßensperre.
Es handelte sich um einen ganz besonderen Befehl. Dieser Soldat
widmete sich nur einen Bruchteil seiner Zeit dem Kontrollieren der
ID-Karten. Wie oben schon erwähnt, müssen die Palästinenser hinter
einer Plastik-Barriere warten. Ein Palästinenser darf sich nicht vor
dieser Barriere bewegen, auch nicht ein wenig, bevor er nicht
aufgefordert wird. Sonst schließt der Soldat auf unbestimmte Zeit
die Sperre, um eine Lektion zu erteilen. Ein großer Teil der Zeit
der Soldaten wird damit verbracht, zu bellen: „Der Checkpoint ist
geschlossen! Geht zurück! Geht zurück!“
Aber der Beit-Furik-Soldat
hatte noch kompliziertere Forderungen. Die Palästinenser mussten
sich in einer einzigen Linie anstellen und warten. Leute, die müde
waren und sich am Straßenrand hinsetzten, wurden aufgefordert, sich
wieder in die Reihe zu begeben. Zusätzlich war seine Aufmerksamkeit
auf zwei verhaftete junge Leute konzentriert, die nebenbei als
Lektion zur Schau gestellt wurden. Sie knieten auf dem steinigen
Boden, die Hände fest hinter dem Rücken in Handschellen gebunden,
mit dem Rücken zur wartenden Reihe, den Kopf geneigt. Hin und wieder
kontrollierte der Soldat, ob sie sich in der „korrekten“ Haltung
befinden. Wir benötigten eine Stunde an Telefongesprächen, um ihre
Freilassung zu erhalten. Einer der Verhafteten erzählte uns, dass er
fünf Stunden in dieser Position aushalten musste.
Eine andere Aufgabe der
Soldaten ist es, auf Menschenjagd zu gehen, und zwar auf die, die
versuchen einen CP zu umgehen. Dies sind Palästinenser, die auf
Grund der Tagesbefehle nicht durch den CP gehen können oder die sich
freiwillig der Gefahr aussetzen, um die Warterei und Demütigung zu
vermeiden. Die Menschenjagd geschieht rund um alle CPs, aber in Bet
Furik gibt es eine neue Version. Für diesen Zweck sind die Soldaten
mit dreirädrigen Geländevehikeln ausgestattet, in der Art, wie man
sie am Nitzamin-Strand sich zum Vergnügen ausleihen kann. Wir
beobachteten die Soldaten, wie sie mit ihrer vor sich her treibenden
„Beute“ zurückkamen. Dazu wurde ihnen von den Kollegen des CP mit
Hurra gratuliert.
Es kann noch schlimmer sein:
Vor zwei Wochen, als wir gerade den Bet Furik-CP verlassen hatten,
wurde ein 14 jähriger Palästinenser von einem Soldaten erschossen,
der behauptete, er hätte mit Steinen geworfen. Diese kurze Exekution
eines Jungen wegen Steine-Werfens war in Israel keine
Nachrichten-Zeile wert.
Einmal fragte ich einen
Soldaten: „Was machst du hier eigentlich? Warum lässt du einen
Araber nicht von einem palästinensischen Ort zum anderen gehen?“
Der Soldat antwortete mit der vollen Überzeugung eines 19Jährigen:
„Ja, verstehst du nicht? Ich schütze den Staat Israel! Ich schütze
dich!“ Der Generalstabschef scheint nicht die selbe Überzeugung zu
haben. Vor kurzem brachte er es fertig, folgenden Satz von sich zu
geben: Vielleicht verursacht die Politik der Absperrung Zorn und
Gewalt und gefährdet so eher die Staatssicherheit als ihr zu dienen.
Vier frühere Geheimdienstchefs sagten es noch klarer: Sie erklärten
ganz laut, dass die unterdrückerische und demütigende Politik
gegenüber den Palästinensern, zusammen mit der finanziellen
Unterstützung und Entwicklung der Siedlungen nicht der Weg sei, um
Terror zu verhindern. Im Gegenteil : sie bringt Israel an den Rand
des Abgrundes, in existenzielle Gefahr. Trotz dieser Statements von
israelischen Sicherheitsexperten sind die Straßensperren noch immer
da und funktionieren voll.
Lasst mich nun über den
Zweck reden, den die CPs in Sharons Politik einnehmen.
Unserer Öffentlichkeit wurde
mitgeteilt, dass sie Terroristen abhalten.. Diese Behauptung hat
gegenüber der Realität nicht standgehalten. Seitdem Sharon an die
Macht kam, hat der Terror gegen israelische Bürger einen noch nicht
da gewesenen Höhepunkt erreicht. Die Terroristen, Mitglieder von gut
organisierten und finanziell gut ausstaffierten Gruppen, schaffen
es, ganz effektiv ihre Zielorte zu erreichen. Auf der andern Seite
schaffen es friedliche Leute nicht, ihr Alltagsleben zu
organisieren. Man hindert sie daran, ein normales, ehrbares Leben zu
führen.
Ein anderer Grund: Sharon
dachte tatsächlich, dass Straßensperren gegen den Terror helfen, nun
wurde ihm sein Irrtum klar, und er lässt sich auf einen Weg von
Kompromissen und Verhandlungen ein. Hörten wir nicht kürzlich von
ihm etwas über die Notwendigkeit von „schmerzvollen
Zugeständnissen“? Sind da nicht Verhandlungen im Gange? Ich wundere
mich immer wieder über die Zahl der Leute in Israel, die bereit sind
dieses optimistische Märchen zu glauben - und zwar immer wieder. Es
ist wie immer : schon einmal erlebt!
Das Szenario ist im Voraus
bekannt. Der Druck nach Verhandlungen wächst in Israel und im
Ausland. Sharon erklärt, er sei bereit zu verhandeln und Kompromisse
einzugehen; eine rein symbolische Entfernung von
Siedlungsaußenposten wird ausgeführt und die Absperrungsschlinge
wird ein wenig gelockert; Verhandlungen mit der Palästinensischen
Behörde werden initiiert ( und ich denke, Sharon hält diese
ohnmächtige Behörde am Leben, damit er dieses Spiel immer weiter
treiben kann), während auf dem Boden die Besatzungsmaschine fleißig
weiter mahlt. Dann wird die Ermordung eines Hamas- oder
Jihad-Führers befohlen oder eine ähnliche Provokation ausgeführt;
eine Kette von Terrorakten gegen israelische Zivilisten folgt;
Sharon erklärt: „ ich wollte Frieden - aber Ihr seht ja, da ist
niemand, mit dem man verhandeln kann.“ Und die israelische
Öffentlichkeit wiederholt gehorsam „Wir wollten Frieden, aber da ist
niemand, mit dem man verhandeln kann.“
Eine andere Möglichkeit hat
die israelische Linke deutlich gemacht: Sharon zielt auf eine
dauerhafte Lösung in Form von Bantustans wie die im früheren
Südafrika. Der Trennungszaun markiert die Grenze der geplanten
Bantustans. Sharon hofft, ein dauerhaftes Bantustansystem verhandeln
zu können, dank der Schwäche der Palästinensischen Behörde. Ich kann
auch daran nicht glauben. Wenn man stabile Bantustans errichten
will, beginnt man nicht damit, sie zu zerstören. Während seiner
Amtszeit befahl Sharon die systematische Zerstörung der politischen
und wirtschaftlichen Infrastruktur in den dicht bevölkerten Gebieten
A der besetzten Gebiete, die als Bantustans vorgesehen sind.
Erinnert euch an die Zerstörung der PA-Sicherheitskräfte, die
Regierungsstrukturen und Ausstattung , der Landwirtschaft, der
Werkstätten, Straßen, Straßenlampen. Der größte Teil der
Palästinenser lebt nun unter der Armutsgrenze von 2 $ pro Tag. Wenn
man drei Millionen Menschen hinter Zäune in Bantustans sperrt ohne
lebensfähige Wirtschafts- und Regierungsstrukturen und ohne Hoffnung
auf bessere Zeiten, dann wird Blutvergießen die Folge davon sein.
Das ist für jede vernünftige Person klar, aber auch für all jene,
die diese Politik ausführen.
Lassen wir uns doch nichts
vormachen - dies sind intelligente und entschlossene Leute, die
langzeitig planen. Ich bin davon überzeugt, dass sie die
Bantustans als eine „nützliche“ Übergangsphase für ihr
wirkliches Ziel geplant haben.
Und was ist dieses Ziel? Ich
denke, dass das Ziel ganz offensichtlich ist - Groß-Israel, vom
Jordan bis zum Meer, in dem die Palästinenser durch die Siedler
ersetzt werden. Für Sharon und Mofaz sind die Palästinenser per
definitionem keine möglichen Partner für Koexistenz. Wenn Sharon
über einen Kampf der Staatssicherheit kämpft, dann ist es dies, was
er meint. In anderen Worten. Er zielt dahin, in großem Maße das zu
wiederholen, was 1948 „ ausprobiert“ wurde. Vor 1948 waren viele
Palästinenser rund um uns und dann „verschwanden“ die meisten.
Es mögen jetzt Leute unter uns sein, die behaupten, dass das, was
1948 geschah, im Rahmen von Israels Überlebenskampf passierte. Aber
jetzt ist es gewiss kein Überlebenskampf, sondern eher eine
systematische Politik eines erbarmungslosen und
kompromisslosen Nationalismus’. Diese Politik bringt unser Land an
den Rand eines existentiellen Abgrundes, genau wie die vier
Geheimdienstchefs sagen. Und wir sollten besser etwas dagegen tun -
und zwar dringend.
** vgl auch Artikel von
Gideon Levy, Haaretz, 22.11.03: Das Checkpoint-Syndrom (auch
von ER übersetzt, s. unter www.zmag.de )
(Aus dem Englischen : Ellen Rohlfs)