Gabriel Ash, 31.10.2003 , Yellow Times, USA
Gerade zu dem Zeitpunkt, als die Welt von der
geheimen Genfer Abmachung erfuhr - vermutlich ein alle erschütternder
Entwurf für einen umfassenden Frieden zwischen Israel und einem
zukünftigen palästinensischen Staat - erfuhren die Eltern von zwei
palästinensischen Kindern in Rafah vom Tod ihrer Kinder durch tapfere (?
ER) israelische Piloten. Deshalb hat die Abmachung, noch bevor sie jemand
gelesen hat, dem israelischen „Friedenslager“ geholfen, seine
traditionelle diplomatische Rolle zu spielen, und die internationale
Aufmerksamkeit von den schrecklichen Dingen, die Israel tut, ab- und zu
den frommen Liedern, die israelische Hoffnungen auf Frieden begleiten,
hinzulenken. Die treibende Kraft hinter der Genfer Abmachung, der
unermüdliche Yossi Beilin, hat schon eine Reihe von „Friedens“-Entwürfen
vermittelt. Theoretisch rufen sie alle nach einem palästinensischen Staat
neben Israel, die sog. „Zwei-Staatenlösung“ ( 1:1). Praktisch ist ihre
Mathematik eines palästinensischen Staatengebildes aber höchstens in
Bruchzahlen auszudrücken. Das Oslo-Abkommen, das fast keine israelischen
Verpflichtungen enthielt, sollte vielleicht die 1 :1/5 Staatenlösung
genannt werden, während in Taba – 2000 –Beilin auf dem Weg zu einer 1:
2/5-Staatenlösung war. Ein Plan für einen vollständigen und freien
palästinensischer Staat - also 1:1 - hat niemals auf dem Tisch gelegen. Da
Beilin mit den bisherigen Ergebnissen nicht zufrieden war, versammelte er
nun ein neues Verhandlungsteam und fand einen bereiten palästinensischen
Partner mit Team um Yasser Abd Rabbo und produzierte noch einen Entwurf.
Aber ging er weiter als die vorigen Bruchzahlen? Erkennt er die
Palästinenser als gleichberechtigt an, (also 1:1)? Oder ist es etwa mehr
oder weniger dasselbe, bestenfalls eine 1,5-Staatenlösung (1: 0,5)?
Die Genfer Abmachung zeigt tatsächlich einen mäßigen
Fortschritt in Beilins Bereitschaft, die Palästinenser als Gleiche zu
akzeptieren. Sie gibt Israels Forderung, die Kontrolle über die
al-Aqsa-Moschee zu behalten, auf. Die Grenzen zwischen Israel und dem
vorgeschlagenen Staat sind näher an der Grünen Linie als in den
vorausgegangenen Entwürfen. Landaustausch wegen der Grenzsiedlungen sollen
nach einem 1:1 Verhältnis erfolgen, also bedeutend besser als Baraks
Vorschlag von 1:10 in den Camp David Abkommen, doch kommen die
Palästinenser immer noch zu kurz weg, weil sie einiges von ihrem besten
Land abgeben und dafür ein Stück Wüste ( neben dem Gazastreifen) erhalten
sollen. Während man das Dokument als ein Abkommen zwischen Israelis und
Palästinensern liest, vermisst man den Kernpunkt (des Problems). Die
israelischen Partner haben nämlich gar keine Autorität zum Verhandeln –
und keine israelische Regierung wird solch ein Abkommen in absehbarer Zeit
unterzeichnen. Das palästinensische Team vertritt eine unpopuläre
Quislingführung, die sich mit größter Anstrengung darum bemüht, an der
Macht zu bleiben. Das Genfer Abkommen ist also eher ein politischer
Marketingplan für die gegenseitige Belebung der widersprüchlichen (oxymoronic)
“Zionistischen Linken“ und ihrem palästinensischen Partner, der
Palästinensischen Behörde. Es ist sehr aufschlussreich als Illustration
einer verkrüppelten Vision jener Ideologie. Da es sich beim Marketing mehr
um Träume als um Details handelt, können wir mehr über das Dokument
erfahren, wenn wir uns seinen Geist – die dahinter stehende Einstellung -
näher betrachten, als wenn wir eine Punkt-um-Punkt-Analyse dessen
betreiben, was jeder der andern Seite zu geben bereit ist. Man bemerkt
bald, wie wortreich und schwülstig das Abkommen ist. Da gibt es Details
über Details, die mit einander in ihrer Bedeutungslosigkeit konkurrieren.
ZB. die Klausel 10,3: „die Parteien sollen über Forderungen und Prozeduren
für gewährte Lizenzen für Pendelverkehr abstimmen“. Das ist kein Scherz!
Als ob der hundertjährige Krieg in Palästina wirklich nur eine
bürokratische Streiterei über Taxiplaketten gewesen wäre. Offensichtlich
haben ungenehmigte Pendelfahrer kein Glück. Aber bedeutsamer ist, dass die
Klausel außer, dass sie sich in Kleinigkeiten verliert, überhaupt nichts
zu seinem überflüssigen Thema sagt. Es verpflichtet die Signataren zu mehr
Gesprächen. Für jene, die sich an Oslo erinnern, wird es im Ganzen ein
Déjà vu-Erlebnis sein. Das Abkommen ist voll mit solch inhaltslosen
Klauseln, als auch mit Klauseln, die zukünftige Abmachungen hervorbringen
sollen, die niemals ( nach Oslo) gemacht worden sind, oder Klauseln, die
sich auf noch nicht geschriebene Dokumente beziehen. Auf Anhang X, der
noch nicht besteht, wird nicht weniger als 52 mal hingewiesen. Anhang X
ist dafür bestimmt, größere Probleme anzusprechen, z.B. das Recht Israels,
Zugang zu den Straßen in einem palästinensischen Staat zu haben. Es sei
nur gesagt, dass das Abkommen sich sehr darum bemüht, zwischen den unnötig
vielen Wörtern die Tatsache zu verbergen, dass wichtige Themen, die den
Umfang palästinensischer Unabhängigkeit definieren, nicht genauer erklärt
werden. Dies enthüllt wieder einmal, dass die „zionistische Linke“
konstitutionell unfähig ist, die palästinensische Souveränität auf
gleicher Ebene zu akzeptieren.
Am wirkungsvollsten ist der Artikel 12: „Wasser –
noch nicht vollständig.“ Und Wasser ist hier nun wirklich keine unwichtige
Angelegenheit. Es ist eines der brennendsten Probleme, das gelöst werden
muss. Nehmen wir an, dass der Entwurf des Genfer Papiers viele Monate in
Anspruch nahm, dann wundert man sich, dass man keine Zeit gefunden hat, in
welcher Weise Israel und der zukünftige palästinensische Staat ihr
gemeinsames Wassersystem verwalten, nachdem genügend Zeit vorhanden war,
um über die Lizenzen von Bussen zu verhandeln. Wenn die Verfasser des
Abkommens wirklich an einem „gerechten Frieden“ interessiert wären, wie
sie in der Präambel behaupten, dann könnte der Artikel 12 tatsächlich sehr
kurz sein und etwa so lauten: „der Zugang zu den Wasserreserven von Israel
und Palästina wird entsprechend dem (Bevölkerungs-)Verhältnis und der
Bevölkerungsgröße verteilt“. Das wäre klar die einzig gerechte Art und
Weise, das Wasser zu verteilen. Wenn es da irgendeine Schwierigkeit der
Problemlösung gibt, dann liegt es in der Tatsache, dass gerade jetzt
Israel das meiste Wasser für sich beansprucht und die Palästinenser mit
einem durchschnittlichen Verbrauch lässt, der bei 1/3 bis 1/9 von dem
liegt, was in Israel pro Person verbraucht wird. An vielen Orten haben
Palästinenser nur die Hälfte der Wassermenge, die von der
Weltgesundheitsbehörde als notwendiges Minimum betrachtet wird, während
die Siedlungen daneben ihre üppigen Gärten sprengen und Baumwolle
anpflanzen, die viel - noch dazu subventioniertes - Wasser verbraucht. Die
Wortlosigkeit von Artikel 12 macht deutlich, dass Beilin und sein Team,
selbst wenn sie einen symbolischen Text schreiben, in dem sie vermutlich
die Hoffnungen des israelischen „Friedenslagers“ ausdrücken, nicht bereit
sind, dieser Diskriminierung ein Ende zu bereiten.. Das Abkommen ist von
Arterien des kolonialen Gedankenprozesses durchwachsen. Zum Beispiel: noch
bevor ein palästinensischer Staat geschaffen wird, sei er verpflichtet,
mit Israel auf kulturellen, sportlichen, wissenschaftlichen u.a. Gebieten
zusammenzuarbeiten, praktisch auf allen (Klausel 2,8) als Vorbedingung für
seine Existenz. Vielleicht können die Palästinenser von solcher
Zusammenarbeit profitieren. Aber es kam den Verhandlungspartnern nicht in
den Sinn, dass die Bürger des neuen palästinensischen Staates das Recht
haben, selbst darüber zu entscheiden, ob und wie sehr sie die
„Busenfreundschaft“ ihrer ehemaligen Unterdrücker pflegen wollen. Da steht
noch etwas anderes, Tieferes, auf dem Spiel. Beilins neues Abkommen
verpflichtet die Palästinenser zu dem, was in Israel „warmer Friede“
genannt wird. Die „zionistische Linke“ war tief von der Art und Weise des
Friedens mit Ägypten enttäuscht, der sich als ein „kalter Frieden“
entpuppte. Es war ein Frieden mit der autoritären Regierung Ägyptens und
nicht ein Frieden mit der Bevölkerung. Dieses Mal verspricht Beilins
Marketingtrick den Israelis einen „warmen Frieden“. Die Palästinenser – so
meint er - werden nicht nur aufhören, Busse in die Luft zu sprengen. Sie
werden die Israelis auch umarmen und mit ihnen gemeinsam Theater spielen.
Dieses absurde Verlangen, von den Palästinensern
geliebt zu werden, gründet sich auf der richtigen
Voraussetzung, dass nur Palästinenser dem Staat Israel Legitimität
erteilen können. Die zwangsweise Übernahme des Besitzes von Palästinensern
durch Israelis – in andern Worten, der große Landraub – kann nicht eine
legitime Transaktion ohne ein palästinensisches Genehmigungssiegel sein,
das Arafat und seine Genossen eifrig für nichts gewähren, nur um an der
Macht zu bleiben. Das heißt nicht, dass Versöhnung unmöglich ist. Das
Vergeben mag göttlichen Ursprungs sein, aber (auch) Menschen haben die
Stärke gefunden, die schlimmsten Misshandlungen zu vergeben. Die
Absurdität der zionistischlinken Friedensphantasien liegt in der Tatsache,
sie wolle die Schiefertafel ( voll mit Verbrechen) ausgelöscht haben, ohne
jemals die Verantwortung für Israels Aktionen übernommen zu haben, ja sie
wünscht, dass man ihr vergibt, währenddie Verbrechen weitergehen. Das wird
am deutlichsten darin, wie man in der Genfer Abmachung mit dem
Flüchtlingsproblem umgeht; denn die Flüchtlinge sind der Kern des
palästinensischen Nationaltraumas. Beilins Triumph ist – in der
Ausdrucksweise israelischer Politik – dass er das palästinensische Team
dahin bringt, eine „Lösung“ des Flüchtlingsproblems zu akzeptieren, in der
das Recht auf Rückkehr nicht anerkannt wird. Ein paar Flüchtlingen mag es
erlaubt werden, nach Israel zurückzukommen. Gemäß dem Abkommen würde
Israels Anteil an der Wiederansiedlung der Flüchtlinge auf dem Prinzip
beruhen, dass Israel nur eines von vielen Ländern ist, das sich an einer
rein humanitären Aktion beteiligt. Als Teil dieser internationalen
Hilfeleistung würde Israel, ganz nach eigenem Belieben, bestenfalls eine „
durchschnittliche“ (? ER) Zahl von Flüchtlingen aufnehmen. Dies käme einem
völligen Leugnen gleich; denn Israels Verantwortung für das
Flüchtlingsproblem ist sowohl eine historische als auch eine rechtliche
Tatsache, die wiederholt von der UN bestätigt wurde. Es ist geradezu
ironisch, dass jene die am meisten daran mitgewirkt haben, dass eine
Leugnung von Verantwortung in ein Verbrechen an sich gewandelt wird ( s.
Holocaustleugnung), am meisten ihre eigene Verantwortung leugnen. Die
Präambel der Genfer Abmachung bestätigt Israels Wunsch nach einem
„gerechten Frieden“. Das hört man gerne. Aber unglücklicherweise kann man
nirgendwo im Text – schon gar nicht im Kapitel über die Flüchtlinge – ein
Statement darüber finden, wie vergangenes Unrecht gut gemacht werden kann.
Beilins „gerechter Frieden“ erinnert zu sehr an Sharons „schmerzvolle
Konzessionen“, ein vages Statement von Prinzipien ohne Bedeutung. Die
„Zionistische Linke“ glaubt an einen gerechten Frieden, solange keiner die
Ungerechtigkeiten erwähnt, die ein gerechter Frieden eigentlich
korrigieren müsste. Darum ist dies das koloniale Paradox im Herzen des
Genfer Abkommens. Auf der einen Seite steht die Forderung nach einer
völligen Versöhnung, Freundschaft und Gerechtigkeit, versteckt in der
Forderung, dass die Palästinenser Israel voll akzeptieren, ja sogar lieben
sollen. Auf der andern Seite gibt es die Verfallserklärung jeglicher
israelischen Anerkennung und Akzeptanz der historischen Tragödie der
Palästinenser. Nichts macht deutlicher als der Artikel 5,9b,1, dass das
Engagement des Genfer Abkommens taubstumm ist: „Die israelische Luftwaffe
soll berechtigt sein, über dem Luftraum des palästinensischen
Hoheitsgebietes für Übungszwecke zu fliegen, gemäß Anhang X.“ Vergesst das
(palästinensische) Hoheitsgebiet! Denkt nur an folgendes: die Opfer der
israelischen Bombardements, die Familien der Märtyrer von Israels
Ermordungspolitik, die Eltern der durch Boden-Luft-Raketen getöteten
Kinder, die Flüchtlinge, die vermutlich aus dem Libanon in den neuen Staat
zurückkommen, die noch die Verletzungen tragen und an den Alpträumen
leiden, die durch israelische massive Zerstörungen der Flüchtlingslager
aus der Luft (1982) ausgelöst wurden.. Werden sie jemals in der Lage sein,
ihre Augen gen Himmel zu heben, der doch „ihr“ Himmel sein sollte – um
dort ihre Peiniger fliegen zu sehen? Beilins Entwurf wird selbst bei
äußerst unwahrscheinlichem Ausgang nicht das Ende des Widerstandes sein,
und er wird nicht der Anfang des Friedens sein. Jene Israelis, die sich
nach dem Frieden sehnen, müssen verstehen, dass Frieden und Versöhnung
nicht eintreten wird, bevor die Israelis sich nicht zu ihrer aktuellen
Geschichte und ihrer nationalen und persönlichen Verantwortung für die
palästinensische Tragödie bekennen.
(Gabriel Ash wurde in Rumänien geboren und ist in
Israel aufgewachsen. Er ist ein unerschrockener „Opssimist“. Er schreibt
seine Spalten, weil die Feder manchmal mächtiger ist als das Schwert – und
manchmal nicht. Er lebt in den USA. Er ermutigt zu Kommentaren: gash(at)YellowTimes.org
)
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)