Lieber israelischer Bürger – ein
offener Brief an alle Israeli - Von einer Palästinenserin, einem
Flüchtling: (21.11.2015) - Ich schreib
dies als palästinensischer Flüchtling, der sich Sorgen macht
über den endlosen Gewaltzyklus, der mein Leben lang andauert. Es
hat keine Zeit gegeben, die mich nicht traurig gemacht hat, weil
ich Mitmenschen gesehen habe, wie sie ein anderes Volk zu
unterdrücken mithalfen. Es ist eine Unterdrückung, die daran
erinnert, dass ihre Vorväter auch darunter gelitten haben.
Während es in ihrem Land auch jene gibt, die die Aktionen ihrer
Regierung verurteilen und diesen widerstehen, scheint die
Mehrheit diese Aktionen zu unterstützen. Es ist gut möglich,
dass sie sie unterstützen. Genau deshalb möchte ich direkt mit
ihnen sprechen.
Ich glaube, dass Politik von Natur aus schmutzig ist, da von
persönlichen Interessen nach Macht und Geld getrieben. Die
menschlichen Interessen spielen eine zu kleine Rolle.
Gleichzeitig sehe ich, wie auf Graswurzelebene ganz gewöhnliche
Menschen , egal mit welchem Hintergrund, ganz friedlich mit
einander leben können, und haben so im Lauf der menschlichen
Geschichte mit einander gelebt, wenn die Politik nicht
dazwischen gekommen ist . Ich bin davon überzeugt, dass
menschlicher Kontakt, der frei von politischer Einmischung ist,
die Menschen zueinander bringt. Ich bin davon überzeugt. Ich
glaube an die angeborene Güte aller Menschen, und ich weigere
mich, zu glauben, dass ihr mit Ungerechtigkeit oder der
Unterdrückung von jedem in Frieden lebt. Ich glaube, dass ich
euch als menschliche Wesen schreibe und so niht meine
Menschlichkeit verliere.
Die Geschichte zeigt, dass ganze Nationen von Hass und Furcht
aufgezehrt worden sind und dass diese Emotionen auch auf der
individuellen Ebene zerstörerisch wirken können. Ich weiß, eure
Angst ist für euch sehr real, auch wenn es für mich nur wenig
bedeutet. Ich weiß, ihr seht den einfachen Wunsch einer Person
wie mir, die in das von ihren Eltern aus Angst verlassene Land
zurückehren möchte, als Angriff auf eure Existenz. Ich wünsche
nur mein und euer Recht auf Freiheit, Gerechtigkeit und
Sicherheit - . Es sollte nicht in einem Nullsummenspiel
eingerahmt sein.
Ich spreche eure Vernunft an und bitte euch kritisch über das
nachzudenken, was ihr von Eurer Regierung hört, da es von
Politik getrieben wird und nicht von euren wahren Interessen
Ich appelliere an eure Intelligenz, eure Fähigkeit, sich mit der
Geschichte zu befassen, für euch selbst nach der Wahrheit zu
suchen, die interessierten und spaltenden Verdrehungen der
Medien herauszufordern.
Ich appelliere an euer Mitgefühl, eure Fähigkeit, die andere
Seite der Geschichte z u sehen, versetzt euch in die Lage derer,
die unterdrückt werden, und stellt euch vor, was ihr fühlen,
denken und an ihrer Stelle tun würdet.
Ich appelliere an eure natürliche Fähigkeit, alle Gefühle des
Hasses und der Angst zu überwinden und die Realität von dem zu
sehen, was wirklich geschieht.
Ich appelliere an euer tiefstes und wahrstes Selbst, indem ich
euch garantiere, dass ich als palästinensischer Flüchtling
nichts anderes suche, als in Frieden unter gerechten Bedingungen
zu leben. Und unter solchen Bedingungen werden wir – das weiß
ich – in der Lage sein, mit einander Freude haben, unsere Freude
und Traurigkeit teilen und zusammen eine bessere Welt bauen.
Schließlich appelliere an euch, alle geistigen und emotionalen
Mauern und Zäune , die euch von den rund um euch lebenden
Palästinensern trennen, zu überwinden, mit euren
palästinensischen Nachbarn reden, sie treffen und zu sehen, dass
sie genau so menschlich sind wie ihr , genau - wie ich weiß,
dass ihr so menschlich seid wie ich es bin.
Herzlich grüßt eure mitmenschliche Partnerin, eine
palästinensischer Flüchtling, der immer von eurer Menschlichkeit
überzeugt war. - Israa Thiab ist von Geburt an ein
palästinensischer Flüchtling und hat jordanische Nationalität.
Ihre Eltern kommen aus Haifa und Jaffa. Israa hat ein Diplom in
Naturwissenschaften und Umwelt und arbeitet auf diesem Gebiet.
Sie befasst sich auch mit Problemen globaler Gerechtigkeit. -
(dt. Ellen Rohlfs) |