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„In Memoriam Mieciu ● Die Geschichte einer
Liebe“
Veranstaltung mit Felicia Langer zum Tag
der Befreiung 2016 in Karlsruhe
14.05.16 Bericht von Dietrich Schulze
Das Beste,
was mir im Leben passiert ist, Felicia
begegnet zu sein, sagte Mieciu (†
27.03.2015)
Erstmals nach dem Tod ihres Mannes Mieciu
sprach Felicia Langer in einer öffentlichen
Veranstaltung über das Leben mit ihm als
Holocaust-Überlebenden aus fünf
Konzentrationslagern. Das ist eine Ehre für
die Veranstalter und die Stadt. In Karlsruhe
wird traditionell die Befreiung zum 8. Mai
gefeiert von der VVN-BdA und Gewerkschaften
heute mit Zeugen der Zeitzeugen. Allein aus
diesem Grund war der Auftritt der
weltbekannten Menschenrechtsaktivistin ein
TOP-Ereignis, die beste Befreiungsfeier in
Karlsruhe seit langer Zeit.
Mieciu war im KZ Theresienstadt am 8./9. Mai
von der Roten Armee befreit worden. Er kann
sich nur nebelhaft erinnern, dass ihn eine
Krankenschwester der Roten Armee auf Händen
getragen hat, wie ein kleines Baby. „Ich
habe immer diese Krankenschwester vor
Augen“, sagt Felicia Langer. „Sie trug
Mieciu wie eine gute Mutter zurück ins
Leben. Ich werde ihr immer dankbar sein.“ (Stuttgarter
Zeitung am Holocaust-Gedenktag 2012)
Zur Ihrer Orientierung das Deckblatt des
Einladungsflyers der Karlsruher
Befreiungsfeier.

Felicias halbstündiger bewegender Beitrag
ist auf
Video aufgezeichnet worden.
In Memoriam Mieciu: Geschichte einer Liebe

Dort fehlt allerdings ihr äußerst bewegendes
Schlusswort, das in diesem Portal aus guten
Gründen als erstes in vollem Wortlaut
veröffentlich werden soll.


Begonnen hatte Felicia ihren Beitrag mit der
Erinnerung an ihr 1999 verfasstes
Buch „Miecius später Bericht: Eine
Jugend zwischen Ghetto und Theresienstadt",
das inzwischen vergriffen ist. Auch noch
heute kann Sie kaum die Tränen zurück halten
über diese ihre persönlichste
Veröffentlichung.
Für ihre weiteren Ausführungen greift sie
auf Ihre Gedanken unmittelbar nach dem Tod
ihres Geliebten zurück.
Diese wurden im April 2015 in einer
Broschüre niedergelegt mit dem Titelbild wie
es in das Schlusswort eingebaut ist. Zum
Vorteil für den Berichterstatter ist diese
Broschüre im
Palästina Portal als pdf online
gestellt worden. Deswegen können daraus
vorgetragene Passagen umstandslos zitiert
werden.
Erste Worte von Felicia
»Mein liebster Mieciu, in Kraków, in
Polen in dem Internat für Waisenkinder hast
Du mir Deine große Liebe für mich erklärt.
Ich war 17, Du 20. Überlebende des
Holocaust. Du hast gesagt, dass es eine
Liebe für das ganze Leben ist. Das hat mich
ein bisschen erschrocken. Ich war so jung
und wollte weiter lernen und an der Uni
studieren. Aber Du hast es geschafft, mich
zu „erobern“, mit der Größe Deiner Liebe.
Meine Mutter, deren Herz Du sehr schnell
erobert hast, sagte zu mir: „Niemand wird
Dich so lieben wie er …“
In Israel, wohin wir – meiner Mutter folgend
– ausgewandert sind, habe ich das Unrecht,
das man gegen die Palästinenser betreibt,
sehr schnell kennen gelernt, und mich
dagegen eingesetzt. Du warst mit mir
solidarisch, lieber Mieciu.
Nach dem sogenannten 6-Tage-Krieg, nach der
Eroberung von Westbank, Gaza, Golan und
Ostjerusalem hat Israel als
kolonialistischer Besatzer seine
Unterdrückung ausgeweitet. Ich war
inzwischen eine glückliche Mutter von
Michael, eine Rechtsanwältin, und ich habe
angefangen, Hilfe zu leisten, Brücken zu
schlagen, für gerechten Frieden, habe das
Leid der Unterdrückten zu lindern versucht.
Lieber Mieciu, Du warst meine Stütze, meine
Klagemauer… Du hast als Erster über
Folterungen, Enteignung, Deportationen,
Besiedlung von mir erfahren, Du hast meine
Wut verstanden und geteilt. Auch Michael,
nur ein Kind, hat mich verstanden. ….
Du warst mit mir solidarisch und hast mich
verteidigt, gegen die Schikanen gegen mich,
und mehr, auch gegen Morddrohungen. 23 Jahre
hast Du das ertragen müssen, bis ich, als
Protest gegen das unmenschliche Rechtssystem
der Besatzung mein Anwaltsbüro im Westen von
Jerusalem geschlossen habe. Wir sind nach
Deutschland, nach Tübingen ausgewandert, wo
Michael gelebt hat mit der Familie. In
Tübingen haben wir uns verliebt, beide … Ich
habe weiter gekämpft, in Deutschland, für
die entrechteten Palästinenser, für Frieden
mit Gerechtigkeit, und Du warst meine
liebende Stütze.
Du hast lange Zeit über Dein Schicksal im
Holocaust geschwiegen, mit seltener
Hartnäckigkeit. Ich habe es geschafft, dank
der Liebe, Dein Schweigen zu brechen. Sogar
ein Buch über Deine Geschichte habe ich
geschrieben, und Du hast angefangen, in
Schulen Deine Geschichte zu erzählen, ohne
Hass und Rachegefühle.
Tausende haben Dich gehört und Deine
Menschlichkeit gepriesen. Am Ende hast Du
über Felicia, Deine Frau, erzählt, und ihre
Tätigkeit für einen gerechten Frieden. Du
bleibst unvergesslich, mein liebster Mieciu!
Seit Januar 2013 haben Dich Krankheiten
befallen, 15 Monate hast Du gekämpft. Unsere
Liebe in diesen Monaten war noch stärker. In
einem TV-Interview in der SWR-Landesschau
anlässlich des Tages 70 Jahre nach der
Befreiung von Auschwitz hast Du über unsere
Liebe gesprochen. Du hast gesagt, dass Du
noch verliebt bist … Und ich war glücklich …
Ich habe versucht, Dir das Beste von mir zu
geben. Dein Lächeln hat mich glücklich
gemacht. Du hast mir gesagt, dass ich
wundervoll bin, und auch vor Gästen, dass es
das Beste ist, was Dir im Leben passiert
ist, mir begegnet zu sein …
Meine liebe Familie, Michael und seine Frau
Sylvie, die wir als unsere Tochter
betrachten, haben geholfen, auch die liebe
gute Teresa, die wir nie vergessen werden.
So auch alle Enkelkinder, die Dir ihre Liebe
gegeben haben, bis zum Ende. Ich habe Dir
gesagt, dass Dich so viele Menschen lieben,
mein lieber Mieciu!«
Günter Wimmer aus München in seiner
Todesanzeige
»Ich bin wie ganz, ganz viele sehr dankbar,
dass ich viele Male, über lange Jahre
hinweg, Frau Langer immer wieder hören, aber
zumindest einmal auch sie zusammen mit ihrem
Mann erleben durfte. Beide sind Leuchttürme
der Menschlichkeit, geben gerade in so rauer
See unverzichtbare Orientierung, Herr Langer
nun auch über seinen Tod hinaus! Menschen
wie die beiden, die bei allem erlittenen
Leid nicht verbittert sind und - uns und
auch sich gegenseitig stärkend - so
entschieden und nachhaltig für Versöhnung,
Menschenrechte und Menschenwürde eingetreten
sind, sind zugleich kostbarste Geschenke wie
ermutigende Verpflichtung. SHALOM und
SALAM!«
Rede des Tübinger Oberbürgermeister Boris
Palmer an Miecius Grab
Zu Miecius Begräbnis am 10. April 2015 auf
den Bergfriedhof in Tübingen mit 200
Trauergästen – Felicia weist dabei auf ihre
gute Freundin Helgard Barakat unter den
Anwesenden – zitiert sie aus der Rede von
Boris Palmer:
»“Ich habe ihn als einen Ehren-Bürger dieser
Stadt gesehen und habe bewusst und aus
Verpflichtung entschieden, den Nachruf auf
den Verstorbenen offiziell als
Oberbürgermeister vorzutragen.“ Palmer hob
in seiner Ansprache das große Vermächtnis
Langers heraus, der mit seiner Frau 1990 aus
Israel nach Tübingen gezogen ist und hier
seit 1992 ununterbrochen bis fast vor seinem
Tod von seinen Erlebnissen in fünf
Konzentrationslagern berichtete - immer
bezogen auf sein Grundanliegen, politische
Lernprozesse in Gang zu bringen, Hass zu
überwinden und zur Versöhnung beizutragen.
Dass gerade Langer, der in Polen
aufgewachsene Jude, der zusammen mit seiner
Familie so viel Leid durch Deutsche erfahren
habe, in dieses Land gezogen sei, habe ihn
tief beeindruckt, sagte Palmer. Gerührt
erinnerte er daran, dass Langer zuletzt vor
sechs Wochen in einem Fernsehinterview
einmal mehr seine Liebe zu dieser Stadt
bekundete. Ich hätte gerne erlebt, dass die
Stadt auch Mieciu Langer zum Ehrenbürger
ernannt hätte", fügte der Oberbürgermeister
hinzu und erklärte, dass er ihn auch ohne
die formal nicht durchsetzbare Entscheidung
als solchen angesehen habe. Langer wurde
dann vor einem Jahr mit der Bürgermedaille
ausgezeichnet. Palmer würdigten auch wie
andere Redner die große Herzlichkeit und den
umwerfenden Humor von Mieciu Langer. „Er hat
das Leben geliebt", charakterisierte ihn der
Lustnauer Pfarrer Stefan Glaser, der mit
Langer befreundet war, dessen Lebenslauf
zusammenfasste und auch mit einem
Langer-Wort dessen Verhältnis zu Gott
pointierte: „Ich weiß nicht, ob sich Gott
mit mir beschäftigt, ich beschäftige mich
nicht mit ihm.“
Reinhart Czisch in seiner Rede zu Miecius
Beerdigung
»Sei gegrüßt liebe Felicia, und ebenso liebe
Familie Langer und ihr lieben Freunde
zahlreich gekommen zu Miecius
Beerdigung, unserem Viel-Geliebten! Es fällt
uns allen sehr, sehr schwer, von ihm
Abschied zu nehmen. Seine Liebe und
Freundschaft wird uns fehlen, aber für
alle unsere Tage in unserem Gedächtnis
verankert bleiben! Darüber sind wir in
unserer Trauer froh. Seiner letzten
Krankheit hat er sich als unabwendbar
letztlich doch ergeben. Seit seiner
schweren Jugend blieb ihm sein Leben lang
erhalten, sich dem Unvermeidbaren ohne Groll
zu stellen. Am Ende des Lebens
bekümmerte ihn daher das eigene Sterben
weniger, als die Trauer darüber, dass
er seine geliebte Felicia nun allein zurück
lassen musste. Unter Einsatz aller
seiner verbliebenen Kräfte hatte er
gekämpft, seiner Geliebten dieses Leid nicht
zufügen zu müssen. Fast sieben
Jahrzehnte haben die beiden, Felicia und
Mieciu, sich ihre gegenseitige Liebe
erhalten und nun ist sie es, die ihm zu
gehen erlaubte und die unter Tränen doch in
ihrer fortdauernden Liebe froh ist,
dass er nicht länger den Kampf mit dem Tod
zu erdulden hat. Diese Großzügigkeit
hat ihrer beider Liebe ihr Leben lang
gekennzeichnet und geadelt. Und diese
Liebe umfasste auch Michael, den einzigen
Sohn, der soeben schon begonnen hat,
uns mit seiner Musik zu trösten, selbst
Trost bedürfend. …..Diese Liebe bezieht sich
auf die Unrecht leidenden dieser Welt. Das
waren zuförderst die Menschen in Palästina.
Ihnen beizustehen und sie vor
Unrechts-Urteilen zu schützen, war ihr, die
eigenen Kräfte nicht schonendes Anliegen.
Diesen Kampf, wird sie fortsetzen, solange
ihr wacher Geist und ihre Gesundheit es
erlauben. Auf ihre Arbeit und ihren
unbedingten Einsatz war Mieciu unbändig
stolz, auch wenn er dies halb verbarg hinter
der scherzhaften Einstufung seiner Rolle als
Kofferträger der Trägerin des alternativen
Friedensnobelpreises. Seit Deinem Tod,
lieber Mieciu, stehen auf meinem Stehpult
zwei Fotografien von Dir. (Das eine oben im
Schlusswort). …. Du hast der Stadt, dessen
Oberbürgermeister Boris Palmer Dir in
seiner schönen Rede zum Abschied soeben
seine Ehrerbietung und Zuneigung bekundet
hat, die ‚Kichererbse’ beschert. …. Von
Beginn an habt ihr, Du und Deine dort
mitarbeitenden Freunde aus Palästina, hier
in Tübingen in der ‚Kichererbse’ die
friedliche Zusammenarbeit des israelischen
und des palästinensischen Volkes, also deren
gelungene friedliche Koexistenz vorgelebt
und damit diese als möglich erwiesen. ….
Dann, Jahre später, haben wir im Stadtmuseum
Deinem ersten Bericht über Deine Kindheit
und Jugendjahre in 5 KZ’s atemlos und
gebannt zugehört. Schon damals und immer
wieder, auch später, wenn Du diesen Bericht
als Zeitzeuge vor Schulklassen und anderem
Publikum wiederholtest, warst Du ein
’Zeitzeuge ohne Bitterkeit’…. Auch dies
stellte Dir Gehör und Herzen Deines
Publikums sicher. Diese späte
Zeitzeugenschaft war und bleibt Dein
Vermächtnis an unsere Stadt und an Deine
selbst gewählte zweite Heimat.«
Schluss-Satz Felicia
Sie bedankt sich bei Mieciu für dessen Liebe
und beendet ihren Beitrag mit einem Dank an
die Anwesenden.
Mieciu konnte life gehört werden
Eine interessante Abrundung war die
Vorführung des Ton-Mitschnitts einer Rede
vom Mieciu Langer vor 14 Jahren in
Karlsruhe, die vom freien Radio Querfunk
aufgezeichnet worden war.
Es war die Befreiungsfeier am 8. Mai 2012,
an der Mieciu und Felicia auf Einladung der
VVN-BdA teilgenommen hatten. Der
Berichterstatter hatte die Ehre und das
Vergnügen, Auszüge aus dem Audio der
70-minütigen bewegenden Rede vorzuführen.
Zu Beginn musste klargestellt werden, dass
die Kürzung auf den am Ende 13-miütigen
Auszug wegen des überzeugend aufgebauten
Berichts ein superharter Job war. Bitte
hören Sie doch am einfachsten alles an. Die
beiden vorgeführten Teile waren ● Beginn
(min. 00.00 bis 07.02 und ● Befreiung (min.
57:13 bis 63:25).
Gedanken zur Befreiungsfeier
Die Feier wurde kulturell von Marianne
Hangstörfer mit Widerstandsliedern
begleitet.
Zu Beginn begrüßte der Hausherr ver.di
Mittelbaden-Notschwarzwald Thorsten Dossow
die ca. 45 Gäste. Er ging dabei auf die
bedrohlichen AfD-Wahlerfolge ein.
Für die VVN-BdA sprach Jens Kany über das
Glück, Felicia Langer zu einer derart
wichtigen Veranstaltung gewonnen zu haben.
Seit langem werde das Ziel verfolgt, den Tag
der Befreiung zum gesetzlichen Gedenktag zu
erheben.
Dazu konnten später an passender Stelle
aktuelle Fortschritte berichtet werden. Das
Bundesland Thüringen hatte am 6. Mai
beschlossen, den 8. Mai als gesetzlichen
Gedenktag für das Bundesland Thüringen
einzuführen. Ein Jahr zuvor war das vom
Bundesland Brandenburg beschlossen worden.
An den im Frühjahr abgewimmelten Antrag der
LINKEN Bundestagsfraktion wurde erinnert.
Die Menschheit hat ewig vor allem der Roten
Armee für das Millionen-Opfer zu danken, den
Sieg über den verbrecherischen deutschen
Faschismus errungen zu haben. Das darf
niemals vergessen werden.
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