Jüdisch-französische Vereinigung für den
Frieden (EJJP)
POB 102
75960 Paris Cedex 20
Sehr geehrter Redakteur,
als Präsident der
„Französisch-Jüdischen Vereinigung für den Frieden“ möchte ich gern auf
einen Artikel antworten, der am
30. Dezember 2003 in „La Une du Monde» erschienen ist und zwar unter dem
Titel: „Die Juden Frankreichs und Frankreich, ein Vertrauen, das wieder
hergestellt werden sollte“. Dieser Artikel, der versöhnlich sein soll, und
der von 7 Intellektuellen unterzeichnet wurde - unter ihnen der große
Rabbiner Gilles Bernheim und der Schriftsteller Alain Finkielkraut –
bildet jedoch einen Teil einer wohl inszenierten Kampagne: einer der
unter französisch-jüdischen Gemeinden und den Interessen Israels
Verwirrung stiftet.
Die Autoren behaupten, dass die
Ursache des Unbehagens unter den französischen Juden und ihren Mitbürgern
anderer Glaubensrichtungen in der Tatsache besteht, dass die letzteren
nicht die Situation Israels verstehen würden, und noch genauer die
„Schwierigkeit, das jüdische Volk an das politische Leben heranzuführen“.
Man sollte sich erinnern, dass der Staat Israel, in dem kaum ein Drittel
der Judenheit der Welt lebt, nicht das politische Leben des jüdischen
Volkes ausdrückt. Es stellt höchstens das politische Leben eines Teils des
jüdischen Volkes dar ( man sollte besser der jüdischen Völker sagen,
solange es sich kaum als wahr erwiesen hat, dass die Juden der ganzen
Welt, die sich sehr von einander unterscheiden, ein einziges Volk sind).
Was die Juden Frankreichs betrifft, so haben sie nicht auf den Zionismus
gewartet, um sich politisch zu behaupten. Sie sind unter ihren
Glaubensgenossen die ersten gewesen, die 1794 Zugang zu einem politischen
Leben hatten. Die aus der Französischen Revolution gewonnene Emanzipation
der Juden, hat unsern Vorfahren in
Frankreich die volle Staatsbürgerschaft beschert. Trotz auch dunkler
Perioden in unserer nationalen Geschichte, wie der Dreyfuss-Affäre und dem
Vichy-Regime, haben fast alle Juden Frankreichs sich entschieden, in ihrem
Geburtsland zu bleiben und sich nicht von der Chimäre des Nationalismus
verführen lassen, um ein neues jüdisches Vaterland in Palästina oder
anderswo zu gründen.
Die Autoren des Artikels beklagen
die „Ablehnung des jüdischen Staates“. Ein besonders geachteter
jüdisch-französischer Führer, der übrigens die doppelte
Staatsangehörigkeit, - israelisch-französisch - besitzt, hat schon klar
auf diese Ängste geantwortet:„ Unser Volk wird abgelehnt, weil
es ein anderes Volk ablehnt“ (Theo Klein, Ehrenpräsident des CRIF, in
Le Monde, 24.4.2003)
Die Autoren des Artikels werden
rückfällig , wenn sie von der „vitalen Verbindung der Juden mit Israel“
reden, die tabuisiert worden ist. Was mich betrifft, muss ich gleich
gestehen: das einzige „vitale Band“, das mich mit Israel verbindet, ist
,die Kriegsverbrechen anzuprangern, die es im Namen des jüdischen
Volkes zu begehen wagt und von denen ich mich distanzieren muss;
denn ich kann den Machtmissbrauch nicht gutheißen, den dieser Staat
gegenüber dem palästinensischen Volk in den besetzten Gebieten ausübt.
Rabbiner Bernheim und seine Mitunterzeichner beklagen, die Kritik der
israelischen Politik würde zu einer „Nichtanerkennung des Existenzrechtes
des jüdischen Staates“ führen. Eine humanere Politik, ohne Besatzung, ohne
Checkpoints, ohne Stacheldrahtzäune und Mauern könnte vielleicht die
Kritik um einiges verringern. Aber wenn der „jüdische Staat“ ein Objekt
der Nichtanerkennung ist, dann vielleicht deshalb, weil die historische
Entwicklung der Welt immer weniger die Idee eines nationalen Staates
akzeptiert. Seit 1990 und den Balkankriegen erkennen die Europäer immer
weniger den Aufbau eines serbischen Staates für die Serben, einen
kroatischen Staat für die Kroaten an, was mit einer ethnischen Reinigung
verbunden war. Als die UNO für einen Teilungsplan Palästinas stimmte, war
dies vor einem halben Jahrhundert. Es ging tatsächlich um zwei Staaten,
einen jüdischen und einen arabischen Staat. Nachdem der letztere nie das
Licht der Welt erblickte, wurde der erste auf der Basis von Massakern an
der zivilen Bevölkerung ( wie in Deir Yassin) gebaut. Dies veranlasste die
Flucht von etwa 800 000 Arabern aus dem Gebiet, das für den jüdischen
Staat bestimmt war. Die so sehr gefürchtete Nichtanerkennung hängt
vielleicht einesteils mit der Enteignung des palästinensischen Volkes und
der „Fortsetzung des Krieges von 1948“ zusammen – wie es Ariel Sharon
selbst ausgesprochen hat, um seine Politik gegenüber den palästinensischen
Gebieten zu erklären, andernteils auch mit der Politik gegenüber den
israelischen Arabern ( 20% der Bevölkerung), die sich nicht der selben
Rechte wie ihre jüdischen Mitbürger erfreuen
Die Zeit für ethnische (durch
Rasse definierte) Nationalstaaten ist vorbei und das Grauen einer
ethnischen Reinigung, wie die im Balkan praktizierte, ist nicht weniger
erschreckend wie die, die sich im Nahen Osten abspielt. Der Staat Israel:
ja!; der jüdische Staat: nein! Mit anderen Worten: Israel hört zweifellos
auf, ein Objekt der allgemeinen Nichtanerkennung zu sein, wenn es
akzeptiert, ein Rechtsstaat für alle seine Bürger zu werden: für Juden
genau wie für die Araber, mit den gleichen Rechten und Aufgaben für jeden.
Wenn religiöse Neutralität des Staates gut für Frankreich ist, ist dies
auch gut für den Nahen Osten. Auch wenn diese französische Form religiöser
Neutralität des Staates notwendigerweise kein universelles Konzept ist, so
ist die Achtung vor dem anderen allemal gut und richtig
Die Gesellschaft, der ich
vorstehe, genau so wie andere demokratische Kräfte, die sich für einen
gerechten Frieden im Nahen Osten engagieren, setzen keine
anspruchsvolleren Kriterien an Israel als an andere Länder. Es stimmt,
Länder mit religiöser Neutralität sind in der arabischen Welt selten –
aber auch in Europa. Wenn der Libanon z.B. nicht religiös neutral ist,
dann sind es die Niederlande auch nicht. Aber die Gesamtheit der Gemeinden
hat ihren Platz im politischen libanesischen wie im politischen
niederländischen Zusammenspiel. Im Augenblick besetzen weder der Libanon
noch die Niederlande ein anderes Land außer dem ihrigen; sie führen auch
keinen Kolonialkrieg auf ihre Kosten. Hier ist der Unterschied: wenn
Israel versucht, sich wieder in die zivilisierte Welt zu (re)-integrieren,
muss es die besetzten palästinensischen Gebiete räumen, allen seinen
Bürgern die gleichen Rechte zugestehen und aufhören, sich - unter dem
Vorwand „des Imperativs der Sicherheit“ - über das internationale Recht zu
stellen. Denn wenn es heute ein Land auf der Welt gibt, wo Juden in
täglicher Unsicherheit leben, dann ist es Israel. Ein schöner
Erfolg des Zionismus!!
Rabbiner Bernheim und die
Mitunterschreiber behaupten in ihrem Artikel, dass die Gründung des
Staates Israel eine Bürgschaft dafür darstellt, dass der Sieg über den
Nationalsozialismus eine neue Zeit eröffnete, besonders in einer Welt, in
der Völkermorde unmöglich sein werden.
In Wahrheit ist festzustellen,
dass dem nicht so ist: Die Kambodschaner, Bosniaken, Ruander und viele
andere Völker belegen dies. Das Schreckgespenst des Völkermordes ist nicht
durch die simple Errichtung eines Staates verschwunden, selbst wenn jener
selbst das Ergebnis eines vorangegangenen Völkermordes ist. Die Tatsache,
dass dieser Staat einen Kolonialkrieg führt und eine Form von Apartheid
praktiziert, sich dabei aber jeglicher Straflosigkeit erfreut und unter
amerikanischem Schutz steht, ist eine bittere Pille für jene, die das
zionistische Ideal unterstützen. Der Staat Israel hat darum all jene
schrecklich enttäuscht, die von Hoffnung gewiegt, seine Schaffung mit
unterstützten. Leider werden Völkermorde nur in einer gerechteren Welt
unmöglich, in der alle Staaten eine gerechte Verteilung aller Ressourcen
und die allgemein gültige Achtung vor dem internationalen Recht
anerkennen.
Richard Wagman
(Aus
dem Französischen: Ellen Rohlfs
EJJP und EJJP-Mitgliedsgruppen
Quelle
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