Wo sind die fehlenden
Siedler?Wie die Medien Ost-Jerusalem annektierten
AUTOR: Jonathan COOK جونثان كوك
Übersetzt
von Schattenblick
Nazareth - Die Gespräche zwischen Barack Obama und der
israelischen sowie der palästinensischen Führung in den
vergangenen zwei Wochen haben eine Welle des
Medieninteresses an den Siedlungen ausgelöst, die Israel
seit nurmehr vier Jahrzehnten auf palästinensischem
Territorium errichtet. Die Botschaft des US-Präsidenten
ist unzweideutig: Die kontinuierliche Ausbreitung der
Siedlungen macht die Gründung eines palästinensischen
Staates unmöglich und damit den Frieden zwischen
Israelis und Palästinensern. Es ist zu erwarten, daß er
diese Botschaft wiederholen wird, wenn er sich morgen
von Kairo aus an die muslimische Welt richtet. Herrn
Obamas Ansprache impliziert, daß Israel, wenn es den
Siedlungsbau erst einmal eingefroren hat, damit anfangen
muß, eine bedeutende Anzahl Siedlungen niederzureißen,
um Boden wieder freizumachen, der für einen
palästinensischen Staat gebraucht wird.
Verständlicherweise haben sich viele Medien in dieser
Zeit der rund um die Uhr Berichterstattung um aktuelle
Meldungen über die Siedler bemüht und stützen sich
hauptsächlich auf die internationalen
Nachrichtenagenturen wie Reuters, Associated Press (AP)
und Agence France-Presse (AFP). Diese Organisationen mit
Mitarbeitern in Jerusalem und Tel Aviv produzieren am
laufenden Band eine Fülle von Berichten, die Zeitungen
und Sendeanstalten weltweit aufgreifen.
Können sich Leser
also, angesichts des Einflusses, den die
Nachrichtenagenturen auf die Weltmeinung haben sowie der
entscheidenden Bedeutung des Siedlungsproblems für die
Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes
darauf verlassen, daß sie eine ausgewogene
Berichterstattung abliefern? Die Antwort ist
traurigerweise: nein. Sogar bezüglich der
grundlegendsten Fakten über die Siedler wie der Zahl,
die auf besetztem palästinensischen Territorium lebt,
liegen die Agenturen regelmäßig falsch. Es leben rund
eine halbe Million Juden illegal auf Land, das von
Israel im Krieg von 1967 besetzt wurde. Wenn man die
paar Tausend berücksichtigt, um die das ganze schwankt
(Israel aktualisiert seine Zahlen mit ziemlicher
Verzögerung), gibt es fast 300.000 Siedler in der
Westbank und weitere 200.000 in Ost-Jerusalem.
Klingt einfach.
Was ist also anzufangen mit dieser ganz typischen Zeile
aus einem Bericht, der letzte Woche von AFP
veröffentlicht wurde: 'Über 280.000 Siedler leben zur
Zeit in Siedlungen, verteilt auf palästinensischem
Territorium, das Israel während des Sech-Tage-Krieges
1967 erobert hat'? Oder mit der folgenden von AP: 'Die
USA sehen in den Siedlungen - Heimat für fast 300.000
Israelis - Hindernisse für den Frieden, weil sie auf
besetztem Gebiet gebaut wurden, das die Palästinenser
für einen künftigen Staat beanspruchen.'

Naser Jafari - Die Judaisierung Jerusalems
Wo
sind die fehlenden 200.000 Siedler?
Die Antwort ist,
daß sie sich in Ost-Jerusalem befinden, was für die
Reporter der Agenturen in zunehmendem Maße bedeutet, daß
sie überhaupt nicht als Siedler anzusehen sind. In
vielen Berichten wird die Siedlerpopulation
Ost-Jerusalems aus der Gleichung herausgelassen. Aber
auch, wenn die Nachrichtenagenturen die Zahl der Siedler
dort nennen, beziehen sie sich durchweg allein auf sie,
isoliert von den Siedlern in der West Bank, oder
beschreiben sie einfach als "Juden".
Schlimmer noch,
dieses irreführende Verfahren setzt sich auch noch fort.
Mitarbeiter führender Zeitungen machen die gleichen
grundlegenden Fehler. So berichtete die New York Times
in der letzten Woche ganz unbekümmert, daß
Außenministerin Hillary Clinton "am Mittwoch
kompromißlos den völligen Stop des Siedlungsbaus in der
Westbank" gefordert hätte. In Wirklichkeit hatte sie
gesagt, daß der Präsident einen "Stop der Siedlungen
sehen wolle - nicht einiger Siedlungen, nicht
Außenposten, nicht ein Ende des natürlichen Wachstums."
Das bedeutet, daß das Weiße Haus alle Siedlungen
komplett einfrieren will, einschließlich der in
Ost-Jerusalem. Das ist keine linguistische
Haarspalterei. In Israels Versuch, einen Unterschied
zwischen dem Status der Westbank und Ost-Jerusalems zu
machen, obwohl diese aneinandergrenzenden Territorien
beide gleichermaßen palästinensisch sind und beide von
Israel 1967 erobert wurden, liegt der Kern des Konflikts
und seine Lösung.
Israels offizielle
Position, die von den Politikern der Linken und der
Rechten gleichermaßen akzeptiert wird, ist, daß Israel
Jerusalem 1967 durch die Annexion der östlichen,
palästinensischen Hälfte "vereint" und die Stadt damit
zur "ewigen Hauptstadt des jüdischen Staates" gemacht
habe. Von den 250.000 Palästinensern Ost-Jerusalems -
denen so etwas wie ein permanenter Aufenthaltsstatus,
aber nicht die israelische Staatsbürgerschaft
zugebilligt wird - denken die Israelis nicht, daß sie
unter Besatzung leben. Noch dazu hat Israel nach 1967
die städtischen Grenzen Jerusalems neu gezogen und einen
riesigen Streifen der Westbank mit einbezogen, der sich
fast bis zum Jordan erstreckt. Per Annektion eignete man
sich nicht nur Ost-Jerusalem an, sondern baute zudem
Siedlungen auf einem weit größeren Gebiet, um die
palästinensischen Hoffnungen auf einen Staat zu
sabotieren. Israel's Premierminister Benjamin Netanyahu
erklärte kürzlich über Ost-Jerusalem: "Es handelt sich
nicht um eine Siedlung, und wir werden weiter dort
bauen." Diese Sicht wurde auch von Ehud Olmert geteilt,
der während der letzten Monate im Amt den Bau von
Tausenden von Häusern für Juden im palästinensischen
Teil der Stadt anordnete - trotz des Zugeständnisses,
mit dem er auf der Friedenskonferenz von Annapolis Ende
2007 einen Siedlungsstop versprach. Von den meisten
israelischen Medien erwartet man nichts anderes, als daß
sie die Regierungslinie zu Ost-Jerusalem wiedergeben.
Aber warum tun viele ausländische Journalisten das
gleiche? Einige sind zweifellos ahnungslos, andere faul.
Aber die über die
komplizierten Zusammenhänge dieses Konflikts
wohlinformierten Mitarbeiter und Redakteure der
Agenturen sind keins von beiden. Wer - im Gegensatz zu
den palästinensischen Stringern, die das Rohmaterial
liefern - die letzten redaktionellen Entscheidungen
trifft, ist zu nah an Israel dran, um völlig objektiv zu
bleiben. Einige sind israelische Staatsbürger oder mit
einem Israeli verheiratet. Aber auch von den leitenden
Redakteuren, auf die das nicht zutrifft, lebt die
überwältigende Mehrzahl in Israel und konsumiert die
israelische Medienberichterstattung entweder auf
Hebräisch oder auf Englisch. Noch dazu essen sie in
israelischen Restaurants und gehen zu israelischen
Parties und neigen in der Folge dazu, mit der
israelischen Perspektive übereinzustimmen.
Die bei den
Nachrichtenagenturen beschäftigten Journalisten spiegeln
allzu leicht die israelische Sicht über Ost-Jerusalem
wider und verleihen ihr damit einen Anstrich von
Legalität. Leitende Mitarbeiter haben diesen blinden
Fleck in ihrer Berichterstattung eingeräumt. "Wir
betrachten die Siedler von Ost-Jerusalem als eine andere
Kategorie", meinte einer, der sich Anonymität erbat.
Warum? "Weil das die israelische Sichtweise über sie
ist." Eingehender befragt, räumte er ein, daß diese Zahl
wohl in die Anzahl der Siedler mit einberechnet werden
müßte. "Das ist etwas, über das wir zur Zeit beraten,",
fügte er hinzu. Es ist keine Zeit zu verlieren. Bei
fehlender Sorgfalt könnten noch weitere
Fehlinformationen Israels, die es der US-Administration
unterzuschieben versucht, Einzug in Agenturtexte halten.

Emad Hajjaj
Quelle: Dissident Voice-
Where are the Missing
Settlers?
Originalartikel
veröffentlicht am 3.6.2009
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