Die leidige Frage: wann ist
Kritik an Israels Politik
Antisemitismus?
- Arn
Strohmeyer -
Als im alten China einmal Unruhen
und Chaos herrschten, empfahl der
Philosoph Konfuzius (um 500 v.
Chr.), dass man, um die Ordnung
wiederherzustellen, erst einmal die
Begriffe klären müsste. Ein weiser
Ratschlag. Im erbitterten Streit in
Bremen und anderswo zwischen
Verteidigern und Kritikern der
israelischen Politik gegenüber den
Palästinensern, sollte man auch erst
einmal klären, was Antisemitismus in
diesem Zusammenhang überhaupt ist.
Die einfachste Definition ist:
Antisemitismus ist Feindschaft gegen
oder Hass auf Juden, unabhängig
davon, was diese tun oder denken,
einfach weil sie Juden sind.
Antisemiten haben also in ihrer
Vorstellungswelt bestimmte
verleumderische und
menschenverachtende Stereotypen, die
sie auf lebende Personen übertragen.
Jahrhunderte lang pflegten die
Kirchen aus religiösen Gründen den
Judenhass. Im 19. Jahrhundert setzte
sich dann eine
pseudowissenschaftliche biologische
Konzeption einer „jüdischen Rasse“
durch, die besagte, dass Jude-Sein
eine immanente zu verachtende
unveränderbare Eigenschaft sei.
Beides, die menschenverachtenden
Stereotypen und die
pseudowissenschaftliche Rassenlehre,
übernahmen die Nazis in ihre
Ideologie und machten sie zur
Grundlage der monströsen Verbrechen
an den Juden (Holocaust). Was haben
Kritiker der israelischen Politik
mit diesem schrecklichen
Antisemitismus zu tun? Gar nichts.
Sie kritisieren, dass im
israelischen Machtbereich – im
Westjordanland und im Gazastreifen (
er gehört wegen der Besatzung
völkerrechtlich immer noch zu
Israel) – über vier Millionen
Menschen leben müssen, die über
keinerlei bürgerliche und politische
Rechte verfügen, obwohl in der
UNO-Charta das
Selbstbestimmungsrecht der Völker
absoluten Vorrang genießt. Den
Palästinensern wird durch die
israelische Siedlungspolitik ihr
Land geraubt und sie müssen ihr
Leben unter einer unerträglichen
Besatzung verbringen. Sich für das
Selbstbestimmungsrecht dieser
Menschen einzusetzen, hat mit
Antisemitismus gar nichts zu tun.
Kritik an Israels Politik ist nur
dann antisemitisch, wenn sie die
verleumderischen Stereotypen benutzt
und das Vorgehen Israels gegen die
Palästinenser mit diesen Stereotypen
„erklärt“ oder „kritisiert“. Wird
Israels Politik von einem
universalistischen Standpunkt (also
aus der Sicht des Völkerrechts und
der Menschenrechte) kritisiert, kann
das nicht antisemitisch sein. Welche
Schlussfolgerung soll man sonst aus
Holocaust ziehen als die Einhaltung
dieser universellen Prinzipien zum
obersten Gebot zu erklären? Eine
Lösung in diesem Sinne wäre auch für
Israel die beste Überlebensgarantie.
Arn
Strohmeyer
Antisemitismus – Philosemitismus und der
Palästina-Konflikt. Hitlers langer verhängnisvoller Schatten,
Gabriele Schäfer Verlag Herne, ISBN 978-3-944487-30-4, 17.80 Euro
Buch - Leseprobe
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