
Arn
Strohmeyer
Falsche Loyalitäten.
Israel, der Holocaust
und die deutsche Erinnerungspolitik
ProMedia, Wien 2022, 180 S., 19,90 €
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Warum die deutsche Erinnerungspolitik gescheitert ist
In seinem neuen Buch unterzieht Arn Strohmeyer das
offizielle Gedenken an den Holocaust einer radikalen Kritik
Hermann Dierkes - 26. 10. 2022
Die
Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen
Kolonialstaat, die seit Monaten wieder zahlreiche Opfer und
Tote fordert, seine anhaltende Unterstützung durch
Bundesregierung, EU und ”westliche Welt” und ihre
buchstäblich blinde Ergebenheit gegenüber der israelischen
Regierungsposition noch vor den zum x-ten Male wiederholten
Wahlen in diesem Land zählt mit zu den schlimmsten
weltpolitischen Skandalen unserer Zeit. Umso wichtiger sind
Positionierungen und Publikationen, die sich dagegenstemmen,
die jeweiligen Interessen offenlegen, Verantwortlichkeiten
benennen und für einen völkerrechtskonformen und moralisch
haltbaren Ausweg plädieren.
Das neue Buch von Arn Strohmeyer ist wieder einmal ein
hervorragender Beitrag in dieser Auseinandersetzung. Im
Rahmen seiner umfangreichen Veröffentlichungen zum Thema
Israel, Palästina und der diesbezüglichen
Auseinandersetzungen in Deutschland hatte sich der Bremer
Journalist bereits 2021 mit dem Buch Die Tragödie Palästinas
und die Antisemitismus-Debatte (Gabriele Schäfer Verlag) zu
Wort gemeldet. Mit seiner neuesten Publikation Falsche
Loyalitäten – Israel, der Holocaust und die deutsche
Erinnerungspolitik greift er seine wesentlichen Positionen
wieder auf, aktualisiert, erweitert und vertieft sie.
Wie immer in seinen Schriften lässt Strohmeyer dabei
wichtige kritische und oppositionelle Stimmen aus der
Debatte zu Wort kommen, insbesondere israelische und
jüdische Wissenschaftler, die in den deutschen
Mainstream-Medien kaum Berücksichtigung finden. Anhand von
gegnerischen und ”offiziellen” politischen Positionen weist
er deren interessengebundene Ideologisierung und
unwissenschaftliche Hohlheit nach, ihre gefährliche Tendenz
zur Einschränkung der Meinungsfreiheit sowie der Freiheit
von Forschung und Lehre.
Ein ganz schändlicher Aspekt ist der oftmals nur noch
verleumderische Gehalt der Anschuldigungen gegen Kritiker
der israelischen Holocaust-Instrumentalisierung, der
Gründungsmythen Israels und seiner Apartheid-Politik, wie
z.B. gegen den antikolonialistischen afrikanischen
Philosophen Achille Mbembe. Einen Großteil des Buches nehmen
diesmal die Thesen des australischen Historikers Dirk A.
Moses ein, die dieser in seinem Aufsatz Der Katechismus der
Deutschen in fünf Glaubenssätzen zusammengefasst hat:
• Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Holocaust mit
anderen Völkermorden,
• der Holocaust als Fundament der deutschen Nation,
• die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson,
• Antisemitismus als spezifisch deutsches Phänomen,
•Antizionismus gleich Antisemitismus.
Im Anschluss an Moses und viele weitere wissenschaftliche
und politische Stimmen unterzieht Strohmeyer diese
Glaubenssätze – die im Übrigen weitgehend der israelischen
Staatsideologie entsprechen – einer fundierten und
stichhaltigen Kritik. Sein Fazit: Die deutsche
Erinnerungspolitik ist gescheitert. Ein angemessenes
universelles Holocaustgedenken, das das wesenhaft zu
Erinnern in dem Mittelpunkt gestellt hätte, wäre nicht
umhingekommen, das Diktum Adornos zu erfüllen, alles zu tun,
auf ”dass Auschwitz sich nicht wiederhole”. Man sollte
hinzufügen: gegen niemanden.
Strohmeyer weiter: ”Es müsse bedeuten, alles zu tun, den
Holocaust in allen seinen historischen, politischen und
kulturellen Aspekten – auch durch Vergleiche mit anderen
Genoziden – zu verstehen sowie gesellschaftliche Strukturen
zu schaffen, die die Reste der alten Strukturen, die
Auschwitz erst möglich gemacht haben, zu beseitigen und
Strukturen hervorzubringen, die eine Wiederholung
ausschließen. Stattdessen hätten die deutsche politische
Elite und die Mainstreammedien das Gedenken fetischisiert,
routinisiert und zu einer Ideologie ausgebaut, die den
Inhalt des Katechismus gebetsmühlenartig wiederholt, ohne
dabei noch echte Anteilnahme und Empathie erzeugen zu
können.
Nicht das Gedenken an sich steht also in der Kritik, sondern
seine staatliche Instrumentalisierung zu fremdbestimmten
Zwecken, die wegen ihrer Überidentifizierung mit Israel und
der Übernahme von dessen allein seinen nationalen Interessen
dienendem funktionalen Antisemitismus (kurz gefasst: Wer
Israel kritisiert, seine völkerrechtswidrige
Unterdrückungs-, Annexions- und Apartheidpolitik, ist
Antisemit, H.D.) für verheerende Folgen in Deutschland
sorgt. Was diese Akteure geschaffen haben, ist ein Klima der
Angst, des Misstrauens und der Denunziation, das die
Öffentlichkeit weitgehend beherrscht.“
Das zurechtgestutzte, partikulare und nicht universale
Holocaustgedenken und die damit verbundene bedingungslose
Unterstützung Israels bilden die Hefe, so ist hinzuzufügen,
auf der die Kritiklosigkeit, ja Anerkennung seiner sog.
Selbstverteidigung gedeihen, ihre Finanzierung, Bewaffnung
und diplomatisch-politische Inschutznahme. Die ständige
Betonung der ”gemeinsamen Werte” der deutschen und
israelischen Politik (von Merkel bis Steinmeier bis hin zur
AfD, um nur einige zu nennen) ist folglich nicht nur ein
Schattenboxen auf den offiziellen Bühnen, sondern es gibt
sie tatsächlich – hinter den demokratischen Fassaden und
Lippenbekenntnissen mit ganz gefährlichen Konsequenzen, wie
sie sich nicht nur in Nahost zeigen, sondern durch die
schleichende ”Israelisierung” der deutschen Politik
(Demokratieabbau, Antiislamismus, Militarisierung usw.) nach
innen wie nach außen manifest werden.
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Die ersten 11 Cover Entwürfe sind von Erhard Arendt