Ich kann nur noch weinen ...
Bericht einer Friedensaktivistin in Israel vom 18.1.06
Jeden Tag zerbrechen wir uns
vergeblich den Kopf, wie wir an das normale, noch geistig gesunde
israelische Publikum herankommen können. ...
Gestern gingen wir, 17 Frauen an den
Eingang zum Qalandiya-Gefängnis (– dem neuen Terminal -) um dort zu
demonstrieren. Die Armee schloss gerade die letzte Öffnung des
gigantischen Mauer- und Barrierennetzwerkes. Palästinensische (!!)
Arbeiter richteten den 8 Meter hohen Betonblock mit der Hand
zurecht, als ein riesiger Kran ihn zu Boden ließ. Dies allein kann
einen schon durch seine reine Irrationalität, verbunden mit
gewaltiger Macht und einer Unmenge Geld, wahnsinnig machen. Die Demo
war zu klein und zahm im Vergleich zu seiner entsetzlichen Realität,
wie wir sie sehen, aber keine Worte finden können, um sie zu
beschreiben...
Ich bin jetzt dreimal an diesem
neuen Terminal gewesen – und kann nur noch weinen. In meinen Augen
ist es ein Nazi-KZ, das dich mit den Worten begrüßt: „Hoffnung für
uns alle“ und einer großen gemalten roten Blume. An seinen Wurzeln
steht auf arabisch: „Sicherheit“, auf dem Stängel „Ordnung“, auf den
5 Blütenblättern : „Entwicklung“, „Investment“, „Wohlstand“,
„Einkommen“, „Bildung und Kultur“. Das einzige, was fehlte, war:
„Arbeit macht frei“
Wenn man hineingeht, kommt man in
ein steriles Labyrinth, zwischen einem Netzwerk von Stangen,
Gittern, eisernen Drehtüren, die von unsichtbaren Soldaten
kontrolliert werden, die irgendwo auf einen Knopf drücken und dich
durch lassen. Es sind Drehtüren, durch die absichtlich weder ein
Kinderwagen noch ein Rollstuhl fahren kann. Dann gibt es grüne und
rote Lichter, die an und aus gehen , da der unsichtbare Soldat den
Knopf willkürlich bedient. Es gibt noch andere elektrische Zeichen,
die wir sie von jedem Flughafen kennen - die mit den laufenden,
beleuchteten Buchstaben . Man kann dann lesen: „ Hab einen schönen
Aufenthalt!“ oder „Genieße deinen Aufenthalt!“ oder Fröhliche
Feiertage!“ und andere „normalisierende“ Effekte. Wenn man durch
dieses Labyrinth durchgeht, kommt man sich wie eine Maus in einem
Versuchslaboratorium vor. Es ist so grausam, banal und böse, dass es
dich völlig verwirrt. Es ist dafür gedacht, dich soweit zu
demütigen, dass du verrückt wirst, und gleichzeitig verkündet es
der Welt, ( die diesen Terminal bezahlte), dass es nur
ein harmloser Sicherheitsdurchgang sei. Es fehlen mir die Worte,
dies zu beschreiben. ...
Ich habe lange darüber nachgedacht,
was du mich gefragt hast, ob Israels Besatzung ein kriechender
Genozid sei. Ich empfinde es so. Ich
habe das Gefühl, dass wir mitten in einem palästinensischen
Holocaust sind. Aber wenn ich
das laut sage, reagieren meine Freunde heftig dagegen. Sogar Leute
von der extremen Linken. Aber wie sollen wir es nennen? Unsere
normale Sprache hat darauf keine Antwort. Verbrechen gegen die
Menschlichkeit? Auf jeden Fall. Ethnische Säuberung? Ja. Aber was
sagt man zu einer kollektiven Strafe, die 850 000 Menschen im Norden
der Westbank in ihre Gettos einsperrt und es ihnen unmöglich macht,
medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, Wasser, Schulbildung,
Einkommen zu erhalten ??? oder 1,5 Millionen im Gazastreifen ? Wie
nennt man solch ein Verbrechen, das die israelische Gesellschaft
begeht???
(dt. Ellen Rohlfs)
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