Opfer des Friedens
Dr. Dudi Zfati, Hebräische Universität
Jerusalem
Ich habe Dr. med. Izz-eddin abul Esh in San
Francisco getroffen. Er arbeitete damals als Gynäkologe im
Soroka-Hospital in Beer-Sheva, und kam nach San Francisco zu einer
Konferenz über Frauenmedizin. Als er mit einer Gruppe von Freunden in
meinen Haus sprach, standen allen Tränen in den Augen. Er erzählte über
seine Kindheit im Flüchtlingslager Dschabalja, wie er als Taschenträger
für Israelis, die im Markt einkauften, Geld verdiente, anstatt in die
Schule zu gehen; wie sein Haus zerstört wurde, als die Strasse im
Flüchtlingslager erweitert wurde und er Geld zusammensparte, um ein
neues Haus zu bauen, und wie er schlussendlich ein Stipendium erhielt,
um in Kairo, und nachher in England, Medizin zu studieren. Er sprach
über die Hoffnung, über sein Bekenntnis zum Frieden und zum friedlichen
Zusammenleben, und über seinen Traum, eine Klinik auf der Grenze
zwischen dem Gazastreifen und Israel zu öffnen, für PalästinenserInnen
und Israeli von beiden Seiten der Grenze. Er hatte ein bezauberndes
Lächeln, und Optimismus und eine überwältigende menschliche Wärme.
Danach kehrten wir beide hierher in dieses
Land zurück, und wir blieben in Kontakt. Auch nach dem Ausbruch der
Zweiten Intifada
fuhr er mit seiner Arbeit im israelischen Krankenhaus in Beer-Sheva fort
und kehrte zu seiner Familie in Dschabalja nur an Wochenenden zurück,
bis der Grenzgang unmöglich wurde. Während der schlimmsten Tagen, als
Dschabalja mit Bomben angegriffen wurde, telefonierte ich, und er war
es, der mich ermutigte. Er war immer optimistisch, überzeugt davon, dass
die Menschen irgendwann verstehen werden, dass man nicht mit Hilfe von
Gewalt Frieden erreichen kann.
Seit Beginn des Gazakrieges sprach ich mit
ihm am Telephon fast jeden Tag. Gleich zu Beginn hatte es in Dschabalja
kein Strom mehr, kein fließendes Wasser und kein Gas, die Fenster und
die Haustür wurden durch die Bombardierung eines Hauses in der Nähe
zerstört. Jedes Mal, wenn er nicht antwortete, hoffte ich, dass es nur
die Batterie ist, die er nicht aufladen konnte – er schaffte es, das
Handy mit Hilfe von Radiobatterien aufzuladen. Er beschützte seine
Kinder. Bat mich, seine Telphonnummer jedem zu geben, den er überzeugen
könnte, dass dies nicht der richtige Weg ist, dass das Morden und die
Zerstörung nur noch mehr Hass und Rachlust säen, die Extremisten stärken
und jede Chance für eine Lösung vertreiben werden. Er glaubte immer noch
an den Menschen. Als die Bodenoffensive begann, glaubte er, dass es
sicherer sei, im Haus zu bleiben, und glaubte, das Militär würde ihm
kein Leid antun. Donnerstag nachts sprach er von seinem Haus aus mit
einer Gruppe von 130 Juden in Pittsburg und sprach vom Wunsch des
Friedens.
Seit Freitag Nachmittag um 16.30 Uhr Izz
eddin lächelt nicht mehr. Drei seiner Töchter, Bissan (20), Miar (15)
und Aya (14) starben an der direkten Bombardierung ihres Hauses. Auch
ihre Cousine Nur (17) starb. Eine weitere Tochter, Schade (17) und eine
weitere Cousine, Raida (12) sind schwer und mittel verletzt, und so auch
beide Brüder von Izz eddin, Schihab und Nasser. Das sind die Töchter,
die er dazu erzog, jeden Menschen zu respektieren und für Frieden und
Zusammenleben tätig zu sein. Aber die Bombe traf nicht nur die Familie.
Sie hat schweren Schaden am Überbleibsel der Hoffnung angerichtet. Sie
hat all jene verletzt, die in Izz eddin und seiner Familie ein Symbol
für etwas anderes sahen. Für Menschlichkeit und dem Willen nach Frieden,
jenseits der schrecklichen Wirklichkeit.
Es soll uns keiner sagen, dass alles
gemacht wurde, um den Waffenstillstand
zu stärken und den Krieg zu verhindern. Dass keine andere Wahl bestand,
als über 1200 Menschen zu töten, mehr als die Hälfte davon unbewaffnet,
Tausende zu verletzen, Zerstörung und Verwüstung zu streuen und eine
Bevölkerung von anderthalb Millionen Menschen hungern zu lassen, in
entsetzlicher Angst und ohne Verteidigung gegen die zerstörerische
Todesmaschine der israelischen Armee. Es soll uns keiner sagen, dies sei
zur Verteidigung der Bewohner von Sderot geschehen. Dass man Sicherheit
und Frieden durch den Niedergang eines andern Volkes erreichen könne. Es
soll uns keiner die Lüge verkaufen, dass der Slogan "Der Hausherr ist
verrückt geworden" eine moralische und effektive Strategie sei. Es
geschah etwas in diesem Krieg. Wir haben die letzten "roten Linien"
überschritten, die moralischen Bedenken. Alles ist erlaubt und
gerechtfertigt im Namen der
„Prägung des Bewusstseins“ und der „Rehabilitierung der
Abschreckung“. Wir haben die Scham verloren.
Israel denkt nur in Schemata von Gewalt,
und darum nährt sich der Staat immer noch von seinem Schwert.
Er hat Angst, sich selber ins Gesicht zu blicken, Angst vor Reue und
Umkehr,
Angst vor Verhandlungen mit dem Feind, und vor allem Angst vor einem
Frieden, viel mehr als vor dem Krieg.
Izz eddin wünscht, dass seine Töchter die
letzten Opfer beider Völker sein sollten – „Opfer des Friedens“. Werden
wir von diesem erstaunlichen Mann lernen, der noch immer den Mut hat,
ein Wort auszusprechen, das schon aus dem Wörterbuch verschwunden ist –
Friede? Damit sein Wunsch in Erfüllung geht, reicht es nicht, dass wir
seinen persönlichen Schmerz mitfühlen, und auch nicht den Schmerz all
der Tausenden von Verletzten und Getöteten. Wir müssen aufstehen und
GENUG sagen! Werden wir den Mut haben? Werden wir so klug sein, um uns
gegen die Rufe der Trommeln des nächsten Krieges zu wehren?
Dr. Dudi Zfati, Hebräische Universität
Jerusalem
www.ynet.co.il/articles/0,7340,L-3657874,00.html
Übersetzung Uri Shani
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