Jüdischen Stimme für gerechten Frieden
Samstag, 16. April,2011
Sehr geehrter Herr Goldstone,
als Ihr UN-Bericht in Deutschland erschien,
veranstalteten wir eine Pressekonferenz in Berlin, an
der unser damaliger erster Vorsitzender, Prof. Dr. Rolf
Verleger, die Herren Stéphane Hessel und Jeff Halper
sowie der Verleger Abraham Melzer, der Ihren Bericht auf
Deutsch verlegt hat, teilnahmen. Der Bericht hat viel
Interesse in Deutschland erweckt, die Resonanz in den
Medien war jedoch sehr bescheiden, da die Journalisten
offensichtlich Angst hatten, den Bericht zu
thematisieren.
Als der Staat Israel und die jüdische Gemeinde in
Südafrika Sie beschuldigten, Antizionist und gar
Antisemit zu sein und dazu noch ein sich selbst
hassender Jude, haben wir uns darüber empört und dagegen
protestiert.
Ebenso sind wir empört über die Art und Weise, wie
Israel und viele jüdische Institutionen Ihren Artikel in
der Washington Post für ihre Zwecke instrumentalisieren.
Auch wir haben diesen Beitrag gelesen, und obwohl wir
mit einigem nicht einverstanden waren, so konnten wir
darin keine Aufforderung Ihrerseits an die Vereinten
Nationen erkennen, den Bericht zurückzuziehen, wie es
der israelische Innenminister Eli Yishai gefordert hat.
Dennoch fragen wir uns, was Sie bewogen haben mag, einen
solchen Beitrag zu schreiben. War das der enorme
seelische, soziale und politische Druck, den man auf Sie
ausgeübt hatte? Wir sind Juden und Israelis und wissen
sehr gut, wie inquisitorisch Israel vorgeht, und wir
wissen auch, wozu israelische Soldaten fähig sind, zum
Teil aus deren eigenen Berichten. Wir glauben deshalb,
dass Israel Ihren Artikel als Persilschein
interpretieren könnte, den dieses Land nicht verdient
hat.
Ihr Bericht hat einiges bestätigt, was wir über die
Gräueltaten der israelischen Armee schon wussten. Die
vielen Zeugenaussagen der israelischen Soldaten, die
gegenüber der Organisation „Breaking the Silence“
gemacht wurden, sind sehr aufschlussreich. Sie
berichten über ihren seelischen Notstand und ihre
moralischen Zweifel wegen Tötungen von Zivilisten, die
militärisch unnötig waren und zum Teil aus Vergnügen,
aus Langeweile und aus purem persönlichem Hass
ausgeführt wurden. Es ist höchste Zeit, dass der „Human
Rights Council“ der UN diese Zeugenaussagen untersucht.
Wir sind Ihnen für den Mut und die Integrität dankbar,
die Sie bisher gezeigt haben und die Sie weiter
benötigen werden, um dem Versuch des israelischen Staats
zu widerstehen, Sie als integere Person zu
diskreditieren. Wir gehen davon aus, dass der Druck auf
Sie und gegen Sie noch stärker und gemeiner wird. Sie
haben der israelischen Regierung zwar Ihren kleinen
Finger gereicht, aber sie will die ganze Hand, wie den
Aussagen von Präsident Shimon Peres deutlich zu
entnehmen ist.
Der Krieg gegen Zivilisten ist immer Teil der
tagtäglichen Routine der israelischen Armee gewesen, in
der zwar sehr viel über die Reinheit der Waffen
gesprochen und gelehrt wurde, in der man sich aber immer
mehr von dieser Maxime entfernt hat, wenn es sie je
gegeben haben sollte. In Moshe Sharetts geheimen
Tagebüchern liest man, wie er schon 1952 über
draufgängerische israelische Kommandeure wie z. B. Ariel
Sharon dachte, der nachts die Grenze überquerte und auf
jordanischer Seite Zivilisten tötete. „Ich muss morgens
aus den Nachrichten hören“, schrieb Sharett, „was dieser
Bastard Sharon wieder getan hat.“ In ihrem Buch „Israel's
sacred Terrorism“ kommentiert Livia Rokach Auszüge aus
Sharetts Tagebuch, die das israelische Vorgehen gegen
Zivilisten von Anfang an belegen. Daran hat sich bis
heute leider nichts geändert.
Erwähnen muss man auch die unzähligen Aktionen
israelischer Soldaten, denen es zwar nicht darum ging,
Zivilisten zu töten, sondern „nur“ darum, den Menschen
das Leben so schwer wie möglich zu machen, sie zu
drangsalieren und zu quälen, als man nachts Familien und
die Bewohner ganzer Dörfer aus den Wohnungen warf und
sie stundenlang im Glauben ließ, man wolle sie
vertreiben. Viele Mitglieder unserer Gruppe haben auch
in der israelischen Armee gedient, und erzählen solche
und ähnliche Geschichten. Es war nie Zufall und Irrtum,
sondern Methode und Absicht: Auf die Frage warum „wir“
das machen, antwortete ein junger befehlshabender
Offizier: „Weil wir ihnen (den Palästinensern) das Leben
bitter machen wollen, damit sie von selbst fliehen.“
Der Krieg gegen Zivilisten ist der rote Faden, der die
israelische Armee von Anfang an begleitet hat. Die
Erinnerungen von Itzchak Rabin erzählen, wie er und
seine Kameraden im so genannten Unabhängigkeitskrieg
Palästinenser aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben
haben. Uri Avnerys zweites Buch „Die andere Seite der
Medaille“ erzählt, wie Israel mit Zivilisten umging. Der
Konflikt und der Krieg waren von Anfang an auch gegen
eine unbewaffnete, zivile Gesellschaft und nicht gegen
hochgerüstete Armeen gerichtet.
Hunderte von Städten und Dörfern sind ausradiert und
ihre Bewohner getötet oder vertrieben worden. Man kann
den Mythos der anständigen israelischen Soldaten nicht
wieder beleben, die ihre Opfer telefonisch warnen, bevor
sie sie töten. Das ist zynisch und lächerlich,
unglaubwürdig und gelogen. Die israelische Armee ist
keine „humane“ Armee, wie es Ehud Barak nach dem
Massaker in Gaza behauptet hat. Die israelische Armee
ist brutal und zynisch wie andere Armeen und sollte
deshalb keinen Kosher-Stempel bekommen, dass sie nur
„irrtümlich“ palästinensische Zivilisten getötet habe.
Die schwere Bombardierung des Gazastreifens, des
dichtest besiedelten Landstreifens der Welt, musste
voraussehbar zur Folge haben, dass dabei viele
Zivilisten umgebracht oder verletzt werden.
Täglich sind jetzt die Zeitungen voll absurder Meldungen
über Sie und über den Bericht. Ein Knesset-Mitglied will
gegen Sie ein Gerichtsverfahren vor dem
Bundesbezirksgericht in New York initiieren. Israel will
gegen einen UN-Bericht klagen, denn es meint wohl, er
schade seinem Ansehen. Nicht die Berichterstattung unter
Ihrer Obhut schadet dem Land, sondern vielmehr dessen
zynische aggressive Anwendung von Gewalt unter dem
Deckmantel einer defensiven „Selbstverteidigung“ sowie
die permanente Missachtung von Menschenrechten und die
Verletzung der Charta der Vereinten Nationen. Sie
sollten aber wissen, dass es in Israel und überall auf
der Welt Juden gibt, die diese inquisitorische
Diffamierung ablehnen, Sie unterstützen und weiterhin
hinter Ihnen stehen.
Wir befürchten, dass durch Fehlinterpretationen Ihrer
Aussage, die besagen, Sie wollten sich von dem
ursprünglichen Bericht distanzieren, weiterer Schaden
verursacht werden könnte. Wir bitten Sie daher
dringendst, klar und unmissverständlich zu bestätigen,
dass Sie den Bericht weder relativieren, noch sich davon
distanzieren wollen.
Vorstand der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in
Nahost e.V.
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