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"Neuer Antisemitismus"

Arne Hoffmann

 

 

In seinem Buch „Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September“ untersucht der Journalist Tobias Jaecker drei verschiedene Formen der Medienberichterstattung mit den Methoden der Diskursanalyse, wie sie vor allem Siegfried Jäger vom bekannten Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung entwickelte. Es handelt sich dabei um die Themenfelder „Terroranschläge vom 11. September“, „Nahost-Konflikt“ sowie „Irak-Krieg“. Jaecker gelangt zu dem Schluss, dass es in allen drei Bereichen antisemitisch-verschwörungstheoretische Konnotationen gebe, die in unterschiedlichem Ausmaß in den Mainstream der öffentlichen Berichterstattung und Debatte hineinragten: Während entsprechende Texte im Zusammenhang mit dem 11. September vor allem in der momentan sehr beliebten Verschwörungsliteratur kursierten (hinter den Anschlägen stecken ihr zufolge gar keine Islamisten, sondern die US-Regierung und Israel), so fänden sie sich, was den Nahost-Konflikt angeht, bereits in großer Zahl auch in den als „seriös“ geltenden deutschen Printmedien, die den Israelis auf dürftiger Faktengrundlage alle nur erdenklichen Übel zutrauten und überbordende Falschmeldungen (etwa über das angebliche Massaker von Dschenin) nur mit wenigen Zeilen korrigierten. Die laut Jaecker antisemitischen Verschwörungstheorien zum Irak-Krieg, die von einer Riege jüdischer Neocons als dunklen Mächten und Strippenziehern hinter den Geschehnissen der Weltpolitik ausgingen, seien praktisch überall anzutreffen: in Büchern, großen Magazinen und Tageszeitungen und nicht zuletzt im Internet. Insgesamt, so argumentiert Jaecker, entstünde aus dieser Melange eine Sichtweise, der zufolge eine jüdische Lobby im Verein mit der israelischen Regierung und mit zwielichtigen Methoden eine Art Weltherrschaft errichten möchte und damit für leichtgläubige Amerikaner, Palästinenser und Europäer eine starke Bedrohung darstellte. Diese Sichtweise sei von bisherigen antisemitischen Verschwörungstheorien wie etwa den „Protokollen der Weisen von Zion“ nur wenig entfernt.

Jaeckers Buch kann auch nach kritischer Lektüre als gelungen bezeichnet werden. Seine Argumentation ist transparent, seine Methodik sauber und sein Fazit überzeugend. Es bewegt sich in den Bahnen der neuren anerkannten Standardliteratur zum Thema, rekapituliert aber nicht nur schon Gesagtes, sondern fügt neue Tiefenanalysen hinzu. Zwar mag sich beim Lesen mancher zunächst fragen, ob Jaecker nicht selbst einer einseitigen Darstellung und Dramatisierung Ausdruck gab, bei der alle Fundstücke in ein zuvor festgelegtes Schema gepresst werden sollten. Dieser Eindruck allerdings verflüchtigt sich bald. Zum einen geschieht das wegen Jaeckers sehr guten Belegarbeit. Drei Artikel (von Telepolis, der „jungen Welt“ und dem Magazin „Stern“) werden gründlich analysiert und enthüllen in der Tat zumindest im Ansatz antisemitische Strukturen. Zum anderen bietet Jaecker immer wieder differenzierende Einschübe. So räumt er ein, dass insbesondere im Irak-Diskurs die „harten Fakten“ durchaus stimmten oder zumindest plausibel erscheinen und dass keiner der drei von ihm untersuchten Diskurse in seiner _Gesamtheit_ antisemitisch-verschwörungstheoretisch besetzt sei. Indes fließe in Sprache und erzählender Darstellung immer wieder ein bedenklicher Unterton ein.

Schwachpunkte des Buches finden sich insofern lediglich auf Detailebene: Ein Problem mag etwa sein, dass Jaecker jegliche von ihm analysierte Kritik an der israelischen Regierungspolitik, als „eindeutig antisemitisch“ bezeichnet, selbst wenn sie von einem anerkannten Mitglied der israelischen Friedensbewegung wie Uri Avnery geäußert wird. Diese „Eindeutigkeit“ behauptet Jaecker in diesem Fall lediglich und verzichtet auf jede weitere Ausführung. Insofern mag sich mancher Leser wundern, wie eine angemessen scharfe Kritik an der Regierung Sharon aussehen kann, die diesem Vorwurf entgeht. Immerhin ziehen mittlerweile selbst Mitglieder der israelischen Regierung (Justizminister Lapid, die ehemalige Erziehungsministerin Aloni) Analogien zwischen israelischem Vorgehen und Taten der Nationalsozialisten. Der Vorwurf eines „israelischen Apartheitssystems“ wurde unter anderem von dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers Bischof Tutu erhoben. Für Jaecker bedeutet solche Kritik bereits, dass Israel indirekt das Existenzrecht abgesprochen werden solle. Wenn er beklagt, dass Sharon als der typische gerissene, schlaue Jude aus dem antisemitischen Klischee skizziert werde, fragt er sich leider nicht, warum diese Zuschreibung ausgerechnet Sharon ereilte und keinen seiner Amtsvorgänger. Vielleicht weil Sharon wirklich gerissen und schlau ist, was ja auch für Juden möglich sein soll – und für Staatsoberhäupter.

Das Problem unberechtigter Antisemitismus-Vorwürfe und ihrer verheerenden Wirkung auf den Beschuldigten („Antisemitismus-Keule“) wischt Jaecker extrem leichtfertig vom Tisch. In seinem Weltbild scheint es Falschbeschuldigungen dieser Art überhaupt nicht zu geben. Dazu passt es, dass auch er selbst immer wieder solche Vorwürfe recht fahrlässig ins Spiel bringt. So führt ihn eine Aufreihung von Fakten über den Antisemitismus in der Weltgeschichte zur Paulskirchenrede Martin Walsers, die Jaecker in Form einer weiteren Tatsachenbehauptung mir nichts dir nichts in die Historik der Judenfeindschaft eingliedert, als handele es sich um ein weiteres feststehendes Faktum. Tatsächlich handelt es sich um eine sehr fragwürdige persönliche Interpretation. Ähnlich selbstverständlich und dabei radikal verkürzend charakterisiert Jaecker die Worte Jenningers, Möllemanns, Hohmanns und Honderichs sowie die Israel-Boykottaufforderung von Attac als aggressive Antisemitismen aus der Mitte der Gesellschaft. Auch hierin folgt er zwar der momentan herrschenden Lehre; ein wenig mehr Problematisierung hätte ich indes als wünschenswert empfunden. So bleibt die alte Frage offen: Who watches the Watchmen? oder, konkret auf diesen Fall bezogen: Wer analysiert die Diskurse der Diskursanalytiker?

Diese Punkte mögen ärgerlich sein, sind aber, da sie nur Nebenbemerkungen darstellen, zu tolerieren und tun der bemerkenswerten Leistung dieses Buches wenig Abbruch.

Wolfgang Benz, Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat schon zahlreiche anerkannte Schriften zu diesem Gebiet veröffentlicht und stellt im Titel seines neusten Buches noch einmal grundlegend die Frage „Was ist Antisemitismus?“. Er beantwortet sie schon in der Einleitung, indem er im Judenhass ein patriotisches Projekt der Mehrheit erkennt, um sich in Abgenzung gegen eine Minderheit ihrer selbst zu vergewissern. Daraufhin unterteilt er diese Geisteshaltung in vier Gruppen (religiöser Antijudaismus, Rassenantisemitismus, sekundärer „Erlösungsantisemitismus“ nach Auschwitz, Antizionismus). Verschiedene Ausprägungen von Antisemitismus aus der gesellschaftlichen Mitte heraus untersucht Benz etwa anhand Zuschriften Einzelner an den Zentralrat der Juden in Deutschland, die Möllemann-Friedman-Affäre und die Hohmann-Rede. Mehrere ausführliche Kapitel sind dem Antisemitismus vergangener Jahrhunderte sowie anderer Länder Europas gewidmet. In einer Fußnote wird sogar unser ef-Magazin erwähnt.

Der politischen Diskussion zuliebe soll sich diese Rezension auf Kritikpunkte an diesem wissenschaftlich durchaus gelungenen Buch konzentrieren, zumal an eine Instanz wie Benz sicher eine hohe Messlatte gelegt werden kann. In diesem Zusammenhang fällt zunächst einmal ein manichäisches Weltbild auf, eine Unterteilung der Positionen in Schwarz-Weiß-Kategorien wie Minderheit/Mehrheit, Opfer/Täter, Juden/Nicht-Juden. Diese Unterteilung traf für die Zeit des Dritten Reiches weitgehend zu, aber gilt sie deshalb so selbstverständlich und automatisch auch für die Gegenwart? Für die Menschen etwa, die in ihren Briefen mit den Mitgliedern des Zentralrats der Juden Verständigung suchen (Beleidigungen, Anfeindungen etc. wurden in der Analyse ohnehin ausgeklammert), fehlt Benz durchgehend jegliche Empathie. Selbst Weltverbesserungswünsche müssen da als „naiv“ apostrophiert werden und Existenzängste als „kleinbürgerlich“. Die Befindlichkeiten der solchermaßen sezierten Briefeschreiber werden lediglich insofern ernst genommen, als es daraus für Benz Antisemitismen herauszulesen gilt.

Dies wiederum tut er mit viel Energie und geradezu nach Schema F: Wirft ein Briefeschreiber einem Zentralratsmitglied vor, unnötig zu polarisieren, sei das ein Rückgriff auf den Juden als Brandstifter. Wer sich über die von israelischen Soldaten getöteten palästinensischen Kinder empöre, denke dabei mindestens unterbewusst Herodes Kindesmord von Bethlehem mit. (Wie ist das mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die dieses Vorwissen gar nicht besitzen und sich dennoch über getötete Palästinenserkinder entsetzen?) Wenn ein Mieterverein einem jüdischen Immobilienmakler vorwirft, überhöhte Mieten zu fordern, stecke dahinter das Klischee vom Juden als Wucherer. Wer den Juden in Deutschland „gesellschaftlichen Einfluss“ zuschreibe, greife dabei auf Stereotype der nationalsozialistischen Propaganda zurück. Wenn ein „Tagesthemen“-Chefredakteur befindet, die Israelis verführen nach der Maxime „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dann verknüpft Benz das mit einer Hitler-Rede aus dem Jahr 1942, in der Juden gegenüber derselbe Topos auftauchte. Und wenn Oskar Lafontaine vorschlägt, die beklagte Einstellung lieber mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe zu überwinden, dann kann man das Benz zufolge „als einen Wunsch auffassen, der mit den Bestrebungen, die Juden aus Palästina zu vertreiben, korrespondiert“.

Man vermisst bei Benz Lesart insgesamt viel Problematisieren und Differenzieren (dass es auch sehr scharfe jüdische Kritiker der israelischen Politik gibt, bleibt beispielsweise unerwähnt), eine wünschenswerte wissenschaftliche Unparteilichkeit sowie insbesondere jedes ernsthafte Eingehen auf eine Gegenposition. Stattdessen nimmt Benz die Rolle von jemandem ein, der jedes auch unausgesprochene Motiv der von ihm analysierten Personen kennt. (Sobald Nicht-Juden mit Juden streiten, scheinen Nicht-Juden grundsätzlich versteckte Hintergedanken zu haben, die erst dechiffriert werden müssen.) Wenn Pater Basilius Streithofen sich nach einer Kontroverse mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden zu einem versöhnlichen Gespräch trifft, dann geschieht das in Benz Blick nicht aus ernsthaftem Interesse an Verständigung, sondern „medienwirksam“ und weil Streithofen den „Trend erkannt“ habe. Möllemann, so heißt es, arbeite mit Codes, die erst entschlüsselt werden müssen, die man also auch „leugnen“ könne. Hier bereits erinnert Benz Rhetorik bereits halb an die Inquisition, halb an die Aufdecker-Bewegung zu Zeiten der Missbrauchshysterie in den neunziger Jahren: „Wir“ wissen es ohnehin besser, aber die „Täter“ „leugnen“ natürlich. Diesem Schema gemäß heißt es auch von Norbert Blüm, der an seinem Vorwurf eines Vernichtungskrieges des israelischen Militärs festhält, er sei „trotzig“ und „uneinsichtig“. Martin Hohmanns Verteidiger „wollen (!) nicht erkennen“, dass dessen Rede antisemitisch gewesen sei; damit sei Hohmanns „Rechnung (...) als Märtyrer einer guten Sache in strahlendem Licht“ zu erscheinen, aufgegangen. Längst bedient sich Benz selbst der Verschwörungstheorien, die auch er ansonsten so gerne beklagt. Was für eine seltsame „Rechnung“ das sein soll, die auf einer vor 120 Zuhörern in der hessischen Provinz gehaltenen Rede beruht, erklärt er nicht.

Es „ging im Fall Hohmann nicht darum, ihn als Antisemiten zu brandmarken“ behauptet Wolfgang Benz und spricht von „der Abweisung von Zuschreibungen, die in der Regel gar nicht erfolgen“. Tatsächlich wurde Hohmann in diversen Zeitungsartikeln nicht nur als Antisemit bezeichnet (etwa in der taz und der Frankfurter Rundschau), sondern auch als Brandstifter (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), charakterloser Lump (Berliner Zeitung), Braungeist (Ostsee-Zeitung), notorischer Judenhasser (Neues Deutschland), antisemitischer Hanswurst (Berliner Tagesspiegel), Hetzer (Bild), wirrer Geist (Hamburger Abendblatt) sowie implizit Rassist und Idiot (taz). Es ist symptomatisch, dass Benz dieser, der andere Teil des Diskurses gar nicht erst in den Blick gerät.

Auch der Journalist Philipp Gessler beschäftigt sich in seinem Buch
„Der neue Antisemitismus“ mit dem Judenhass. Dabei fächert er das Thema in drei Bereiche auf, denen er jeweils ein ausführliches Kapitel widmet: rechter, islamischer und linker Antisemitismus. Erfreulicherweise eröffnet er seine Ausführungen mit einer brauchbaren Definition des behandelten Begriffs: „eine anhaltende latente Struktur feindseliger Überzeugungen gegenüber Juden als Kollektiv (...) soziale oder rechtliche Diskriminierung, politische Mobilisierung gegen Juden und kollektive oder staatliche Gewalt – die dazu führen und/oder darauf abzielen, Juden als Juden zu entfernen, zu verdrängen oder zu zerstören“. Weniger erfreulich ist, dass auf den dieser Definition folgenden Seiten der Antisemitismus-Begriff wieder dermaßen entgrenzt wird, dass vom Möllemann-Friedman-Konflikt bis zu scharfer Kritik an Israels Premier alles mögliche darunter fallen kann. So verbleibt auch Gessler innerhalb der gängigen Schemata, auch seine Welt ist schwarz und weiß: Dass Sharon zufolge 17 Millionen Araber in Europa eine Zeitbombe darstellen wird von ihm etwa nur als Zitat eines Moslems eingeworfen, den Gessler als antisemitisch vorzuführen sucht – ob sich hinter Sharons Worten nicht ihrerseits knallharter Rassismus verbirgt, hinterfragt Gessler nicht. An anderer Stelle zitiert er eine Sprecherin der Antiglobalisierungsbewegung Attac damit, dass in ihren Reihen „Leute schon Angst haben, sich zu äußern, weil sie nicht als Antisemiten hingestellt werden wollen“. Gessler verzichtet darauf zu problematisieren, ob diese Angst nicht, ähnlich der Kommunistenhatz unter McCarthy, bedrohlich für die Meinungsfreiheit werden könnte.

Stattdessen wirkt er an dieser Gefahr tüchtig mit. Geschickt schneidet er brutale Gewalttaten und Bemerkungen, bei denen nur mit viel gutem Willen antisemitische Hintergedanken zu erkennen wären, zu einem Bild zusammen, das den Eindruck erzeugt, „dass es in Sachen Judenfeindlichkeit so schlimm sei wie in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts“. Das ist blanker Alarmismus, aber angesichts dieser Gefahr kann man auf Argumente auch verzichten: „Wer Argumente benutze“ zitiert Gessler offensichtlich zustimmend die Möllemann-Kritikerin „Julia“ (jung, blond und blauäugig, studiert Kunstgeschichte), „räume ein, dass auch die Gegenseite welche besitzen könne“. Auch den „ehemaligen Archiv-Assistenten“ Leo Bauer zitiert Gessler gerne: „Schon im 19. Jahrhundert haben die Antisemiten betont, sie betrieben keinen Judenhass, heute betonen die Israelkritiker, sie seien keine Antisemiten.“ Zu bestreiten, dass man Juden hasst, ist nach dieser absurden Logik fast schon ein Beleg _für_ diesen Verdacht. Leider herrsche bei Israelkritikern „der Irrglaube vor, der Unterdrückte sei immer moralisch im Recht oder an einem Konflikt seien immer beide Seiten gleich schuld.“ Wenn beides ein „Irrglaube“ ist, was bleibt dann als zutreffende Sicht der Dinge? Dass der Unterdrücker moralisch im Recht ist? Schade, dass Gessler solche Gedanken nicht zuende denkt, weil er schon wieder auf der Jagd nach dem nächsten Skandal ist.

Beispielsweise dass 1600 Mitglieder der CDU sich gegen ein Parteiausschlussverfahren Martin Hohmanns wandten, weil sie in seiner Rede nichts Antisemitisches erkennen konnten. Gessler zitiert hierzu den Antisemitismus-Experten Bergmann: „Eine Erosion der Tabuisierung des Antisemitismus ist festzustellen.“ Moment. Bestreiten die CDUler nicht gerade, dass hier überhaupt Antisemitismus vorliegt? Das eben ist Teil des Problems: „Bedenklich sei die andauernde Diskussion darüber, was nun eigentlich antisemitisch sei“. Aha. Da ist es doch hochironisch, dass Gessler in der „jüdischen“ vom 21.9.2004 die Frage gestellt wurde, ob er „sich eigener antisemitischer Facetten in seiner Schreibe überhaupt bewusst“ sei. Seiner eigenen Rhetorik folgend dürfte sich Gessler nicht gegen diesen Vorwurf verteidigen (denn dazu wäre ja eine „bedenkliche“ Diskussion darüber notwendig, was antisemitisch sei und was nicht), noch dürfte er von anderen verteidigt werden. (Das wäre ja eine „Erosion der Tabuisierung des Antisemitismus“.) Unweigerlich fühlt man sich daran erinnert, dass Robespierre mit seinem Tugendterror zuletzt auch unter Guillotine landete.

Da Gessler so ziemlich überall Antisemitismus entdeckt, verwundert es nicht, dass ihm kaum brauchbare Lösungen einfallen, um mit dieser Allgegenwart fertig zu werden. Einen Absatz nur nimmt er sich dafür Raum. Darin finden sich solch niedagewesene Einfälle wie dass die Politik öffentlich gegen Antisemitismus protestieren sollte oder dass die Justiz „ihn, auch wenn er nur in Andeutungen auftritt, stärker ahnden“ müsse. Wie das konkret aussehen und wo das hinführen soll: Fragen Sie nicht Herrn Gessler. Der ist zu sehr damit beschäftigt, entsetzt die Arme in die Luft zu werfen.

Lars Rensmanns „Demokratie und Judenbild“stellt sich als größte Peinlichkeit der hier besprochenen Bücher heraus. In diesem ideologietrunkenen Machwerk, das ernsthaft zur Erlangung eines akademischen Titels ausreichte, sind einseitige Propaganda und Wissenschaft nicht mehr voneinander zu trennen. Eine dem Buch beigelegte Liste enthält zwischen 20 und 30 Errata, was ungefähr einem Zehntel der tatsächlichen Anzahl entsprechen dürfte. So hingepfuscht wie die Sprache ist auch der Inhalt. Unfassbar was heutzutage allein wegen eines demonstrativen Anti-Antisemitismus alles durchgewunken wird! Je weniger man über diesen intellektuellen Dünnpfiff sagt, desto besser.

Fast schon lustig ist im Vergleich dazu Phyllis Cheslers „Der neue Antisemitismus“. „Ich bin keine Antisemitismusforscherin“ bekundet die jüdische Radikalfeministin darin schon sehr früh. Das merkt man. Es handelt sich um einen Titel, der erkennbar aus persönlicher Betroffenheit heraus geschrieben wurde. Nun kann auch das ein durchaus gelungenes Werk ergeben. Hat es hier aber nicht.

Das Buch beginnt mit einer fast obszön eindringlichen Schilderung des New Yorker Ground Zero („Die Luft roch nach verbrannten Menschen, salzig und Angst einflößend.“), woraufhin Chesler im ersten Kapitel irritierend ausführlich ihre eigene Befindlichkeit ausbreitet. So efährt der Leser solch interessante Details wie dass Chesler fast ein Jahr lang täglich den Terroropfern gedachte, ihre Arbeiten „in viele europäische Sprachen übersetzt worden und auf Japanisch, Chinesisch, Koreanisch und Hebräisch erschienen“ sind, dass das „böswillige und absichtsvolle Schweigen“ der Akademiker zum Antisemitismus ihr „das Herz zerrissen“ haben, ihre beiden charmanten Ehemänner eine sanfte Stimme, dunkle Augen und einen olivenfarbenen Teint besitzen, dass sie während ihres Aufenthalts in Afghanistan von ihrem Schlafzimmerfenster aus die Ausläufer des Himalaya sehen konnte undsoweiter und sofort.

Das Befremden, das sich bei der Lektüre dieser Nabelschau einstellt, legt sich bei der weiteren Lektüre nicht. Chesler behandelt das Thema Antisemitismus, indem sie mehrfach seitenlang terroristische Anschläge und ihre Opfer auflistet und dies mit, gelinde gesagt, weniger schweren Vorfällen durchmischt - wie etwa dass am 9. April 2002 ein Student der Universität Denver einen jüdischen Kommilitonen als „kike“ bezeichnet habe. Ähnlich wie bei Gessler entsteht so hier ein Bedrohungsszenario, das das Dritte Reich noch in den Schatten stellt, denn: „In der Nazizeit wurden Juden vorwiegend auf einem Kontinent angegriffen. Heute werden Juden überall auf der Welt attackiert, vornehmlich mit Worten und Bildern.“ Selbst die Vereinten Nationen seien „von der PLO okkupiert“, einen Vorgang, den Chesler als „mein erstes postmodernes Pogrom“ bezeichnet.

Cheslers Hauptzielscheiben sind der Islam und die arabische Welt: „Wenn wir die islamistischen Fundamentalisten nicht stoppen, werden sie mit Sicherheit die wertvollen Juwelen aus unseren Gotteshäusern und Museen stehlen (…), unsere schönen Kirchen und Synagogen abbrennen oder gleich ihre Moscheen über sie drüber stülpen.“ Außerdem werden sie „die Christen und Juden versklaven oder umbringen“. Chesler kennzeichnet „Araber und Muslime“ als „barbarisch und primitiv“, weil „die westlichen Ideen von Objektivität und unabhängiger Wahrheitssuche in der verarmten, illiteraten, religiösen und in Stammesstrukturen verharrenden islamischen Welt keine allzu große Rolle spielten, einer Welt, die stolz darauf war, sich nicht weiterzuentwickeln“. Allerdings sind wir Europäer auch nicht viel besser: „Viele Europäer leugnen noch heute, dass der Holocaust je stattgefunden habe, oder verlangen ein irreales Maß an Beweisdokumenten.“ Hierzu zitiert Chesler zustimmend einen Kolumnisten, dem zufolge „die Europäer tief in ihrem Inneren wollen, dass Herr Sharon ein Massaker an den Palästinensern begeht“, damit Europa endlich die Schuld am Holocaust abwerfen könne. Aber wenn die europäischen Antisemiten „mit ihren stolzen Fressen in die unter den Teppich gekehrte, eigene Scheiße gestoßen wurden, erlebten sie es als `jüdische Aggression´.“

Insbesondere die „amerikanische und europäische Linke hat sich auf eine teuflische Hochzeit mit den islamistischen Terroristen eingelassen“ berichtet Chesler. Das sei kein Wunder aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit zueinander: Beide „sind nicht in der Lage, als Individuen zu denken, sie zeichnen sich durch eine pubertäre, provokative Rebellionshaltung und grobes Verhalten gegenüber bestimmten Autoritäten aus“. Dies illustriert sie am Beispiel einer französischen Judin, die ihr doch tatsächlich beharrlich widerspricht, obwohl Chesler mehr als dreißig Jahre älter ist – und noch dazu in einem so schlechten Englisch, „dass es mir in den Ohren wehtat“. Da ist dann auch Chesler machtlos („Ihr Verstand blieb verschlossen, genauso wie ihr Herz.“), und das obwohl sie doch einiges gewohnt ist: „Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen geübten Lügnern und Großmäulern debattiert.“
Judenhass und mehr als nur zurückhaltende Israelkritik sind für Chesler praktisch ein und dasselbe: „Jeder, der Israel fälschlicherweise des Völkermords und des Rassismus anklagt, ist ein Antisemit.“ Die zahlreichen jüdischen Israelkritker in der Diaspora nimmt sie da ebensowenig aus wie all die „Globalisierungsgegner, Umweltschützer und Anti-Rassismus-Aktivisten“ und die Journalisten, die bei ihrer Nahost-Berichterstattung „häufig zum verrückt werden `objektiv´“ seien, indem sie keine eindeutige Stellung bezögen und beide Seiten des Konfliktes zu Wort kommen ließen, ohne die „zahllosen einstudierten Kamera-Tränen“ der Palästinenser zu durchschauen. Leider seien selbst viele Juden „gefährlich gut“ darin, „den Standpunkt des `anderen´ zu verstehen“. Was soll man da noch machen? Außer sich vielleicht zu wundern, dass Objektivität, deren angeblicher Mangel im Islam Chesler gerade noch beklagt hatte, für sie fatal wird, wenn darunter auch Israels Image leiden könnte.

„Bin ich nur eine paranoide Jüdin“ fragt sich Chesler an einer Stelle, „die hinter jedem Busch Nazis sieht, verstehe ich jede Kritik an Israel auf fälschliche und hysterische Weise als einen Angriff auf alle Juden der Welt? Empfinde ich legitime politische Analyse als schändlichen Antisemitismus? (…) Ich glaube nicht.“ Ich glaube schon. Andererseits ziehe ich den Hut vor Cheslers Begabung, einen Antisemiten sofort zu entlarven, etwa indem sie „seine Laune, seinen Tonfall, Gesichtsausdruck und die Körpersprache zur Kenntnis“ nimmt und dabei sofort solch verräterische Kleinigkeiten wie deren „wütenden Blick, ihre sich sträubenden Haaren, ihr Knurren und Zittern“ bemerkt.

Nicht weniger tiefschürfend sind Cheslers Vorschläge zur Problemlösung: „Lasst mein Volk in Ruhe. (…) Warum dem jüdischen Volk so viel Aufmerksamkeit schenken? (…) Vergessen Sie uns einfach, für mindestens hundert Jahre. Lassen Sie uns in Ruhe allein mit unseren Feinden kämpfen und in unserem eigenen Saft schmoren.“ Schließlich suchten die Israelkritiker ja auch andere nicht andere „Völker oder Nationen mit ihrem Perfektionismus“ heim. Die israelischen Soldaten mögen die eine oder andere Menschenrechtsverletzung begangen haben, aber wenigstens haben sie „keine Frauen vergewaltigt oder entführt oder Mädchen als Sexsklavinnen verkauft“, was in nicht-jüdischen Armeen gang und gäbe sei. Viel unverblümter als andere Autoren zeichnet Chesler Juden grundsätzlich als unschuldig und heldenhaft, ausschließlich in Verteidigung handelnd, Araber hingegen als bösartig und dumm. Mit Beifall bedenkt sie es, wenn die USA dem Terrorismus „endlich ernsthaft den Krieg“ erklären und in Afghanistan und dem Irak einmarschieren. Zwar möge es „unmoralisch“ sein, „aus großer und sicherer Höhe eine Bombe auf Zivilisten zu werfen“, aber immerhin freuten sich die Mehrheit der Amerikaner und viele Juden nicht auf ähnliche Weise über den Tod ihrer Feinde wie die Araber und Muslime. Wenn also etwa die deutsche Regierung, wie 2003 angekündigt, keine Waffen mehr an Israel verkaufen wolle, solle man mit einem Gegenboykott Deutschlands und anderer europäischer Staaten reagieren und auch nicht mehr in diese Länder reisen.

Besonders schrill wird das Werk, wenn Chesler ihre radikalfeministische Haltung mit ihrer prozionistischen Position verknüpft: „Wenn wir begreifen, warum Frauen Frauenhäuser benötigen“, heißt es da etwa, „eigene Cafés, Musikfestivals, Immobilienfonds und Gender-Studies-Lehrstühle, können wir dann nicht auch verstehen, warum die Juden einen jüdischen Staat benötigen?“ Leider könne „der neue Antisemit auch (…) eine Frau sein“: Schließlich hatte Chesler seit 1980/81 „viele leidenschaftliche Diskussionen mit einzelnen, christlichen Feministinnen“ geführt, „die zu glauben schienen, dass die Juden und Zionisten des 20. Jahrhunderts mehr als alle anderen Menschen auf der Welt für den Tod `der´ Göttin vor dreitausend Jahren und für den Sklavenhandel vor vierhundert Jahren verantwortlich seien“. Göttinseidank war Chesler bereits durch zahlreiche „Rededuelle mit Abtreibungsgegnern und Vaterrechts-Aktivisten“ und anderen „frauenfeindlichen Idioten und Rowdys“ geübt.

Zusammengefasst: Cheslers Werk entbehrt als Psychogramm einer radikalen und zugleich patriotischen amerikanischen Jüdin nicht einer gewissen Faszination. Was allerdings die politische Analyse angeht, sind damit die aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Antisemitismus wohl endgültig auf der Stufe des Trash angekommen.

Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Rezensent leicht zu verzweifeln. Sollte es denn wahr sein, dass sich die aktuellen Antisemitismus-Debatten vorwiegend auf dem Niveau einseitiger Dauerempörung abspielen? Da fällt ihm der Suhrkamp-Band „Neuer Antisemitismus?“ in die Hände. Schon das Fragezeichen im Titel verheißt einiges, so auch, dass es sich um eine Sammlung mehrerer Beiträge handelt, die den Stand der internationalen Debatte dokumentieren soll - während bei Benz, Gessler und Chesler der Eindruck erweckt wird, als ob es gar nichts mehr zu debattieren gäbe. Nun mag dieser erste Eindruck täuschen. Auch die beiden Bücher mit „Beiträgen zur Möllemann-Debatte“ (das eine herausgegeben von Michael Naumann, das andere von Tobias Kaufmann und Manja Orlowski) ließen ihre Autoren in Wahrheit im Gleichschritt marschieren und gemeinschaftlich auf Möllemann einprügeln.

Der Suhrkamp-Band jedoch hält, was er verspricht. Das wird schon in der Einleitung deutlich, in der auch die Position der Kritiker des Begriffs „Neuer Antisemitismus“ angemessen ausgebreitet wird: Mit dieser propagandistischen Formulierung, einer „Rhetorik des Verdachts“, wolle man in Wahrheit Kritik am Handeln Israels und der USA unterbinden und die Kritiker „mit Hilfe der stärksten verfügbaren Waffe aus dem Feld des legitimen Diskurses (…) verbannen“. Die Herausgeber des Buches stellen die Kernfrage: „Zieht Israel als Staat der Juden den klassischen Antisemitismus auf sich, oder ist es die Politik des jüdischen Staates, die zu einer weltweiten Kritik führt?“ Das eben wäre zunächst zu klären, während die Autoren der vorgenannten Bücher so tun, als ob die Antwort auf diese Frage bereits feststünde. Ganz anders die Suhrkamp-Herausgeber: Sie stellen klar, dass es ihnen nicht darum gehen könne, endgültige Antworten auf komplexe Fragen zu geben, sondern das Problem in all „seinen Facetten darzustellen und unterschiedliche, ja kontroverse Deutungen und Schlussfolgerungen anzubieten. (…) Wir haben uns darum bemüht, mit den Beiträgen kontroverse Positionen zu versammeln (…).“ DAS ist endlich seriöse Wissenschaft, das ist verantwortungsvoller Journalismus im Gegensatz zu einseitiger Ideologie! Und es ist offen gesagt eine Schande, dass es auf dem deutschen Buchmarkt erst wieder Suhrkamp braucht, um dieses bei den meisten anderen Themen für alle selbstverständliche Niveau zu erreichen.

Auch die in dem Buch vertretenen Autoren werden höchsten Ansprüchen genüge. So gehören zu den Befürwortern der Antisemitismus-These solche mittlerweile bekannten Namen wie Daniel Jonah Goldhagen, Thomas Haury, Moshe Zimmermann und Dan Diner. Tony Judt, hingegen hält die Vorwürfe insbesondere jüdischer Organisationen für überzogen und argumentiert, wenn Israels Führung vorgebe, für alle Juden weltweit zu sprechen, sich niemand zu wundern brauche, wenn die Taten des Kabinetts Sharon auf sämtliche Juden rückwirke: „So hat Israel selbst erheblich zum Wiederaufleben des Antisemitismus beigetragen (…). Das ist ein Ergebnis, mit dem viele israelische Politiker keineswegs unglücklich sind: Es rechtfertigt ihr eigenes schlechtes Verhalten im nachhinein“. Würde ein deutscher Politiker ähnlich sprechen, würde man ihn in die Nähe der Nationalsozialisten rücken, da er behaupte, „die Juden“ seien selbst am Antisemitismus schuld. Omer Bartov wendet sich gegen die „Hysteriker“, die eine Situation wie in den dreißiger Jahren zu erkennen meinen: „Noch nie sind die Juden wohlhabender, erfolgreicher und sicherer gewesen, als sie es heute in den USA sind. Das gilt ebenso für die nervösen Juden Westeuropas.“ Antony Lerman wendet sich gegen eine Entgrenzung des Antisemitismus-Begriffs: „Wenn Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt wird, bedeutet das auch eine rassistische Ablehnung der Serben?“ Nach der von einigen verwendeten sehr breiten Definition gelte man bereits als Antisemit, „ohne dass man auch nur irgend etwas von dem unterschreiben muss, was die Historiker stets als Bestandteile einer antisemitischen Weltanschauung angesehen haben: den Hass auf Juden _an sich_, den Glauben an eine weltweite jüdische Verschwörung, den Glauben, dass Juden den Kommunismus geschaffen hätten und den Kapitalismus kontrollierten, den Glauben, dass Juden rassisch minderwertig seien, und dergleichen mehr.“ Judith Butler schließlich warnt vor einem „Klima der Angst“ und befindet: „Wenn wir aus Angst davor, als antisemitisch etikettiert zu werden, unsere Kritik begraben, überlassen wir denen die Macht, die den freien Ausdruck politischer Überzeugungen beschneiden wollen. (…) Man wird mit dem Etikett `antisemitisch´ in derselben Weise bedroht, wie es einem in den USA das Etikett `Verräter´ oder `Sympathisant von Terroristen´ (…) einträgt, wenn man die jüngst geführten Kriege ablehnt. Es sind Drohungen mit tiefgreifenden psychologischen Folgen. Sie legen es darauf an, das politische Verhalten zu steuern, indem sie den Individuen unterträgliche stigmatisierte Formen der Identifikation aufzwingen, mit denen sich die meisten Menschen um keinen Preis identifizieren wollen. Da sie die Identifizierung fürchten, wagen sie es nicht, ihre Meinung deutlich auszusprechen. Aber solche Drohungen einer Stigmatisierung können und müssen ausgestanden werden.“

Meistens ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Titel zu einem kontroversen Thema die verschiedenen Standpunkte ausführt und sorgsam gegeneinander abwägt. In diesem Fall macht diese Leistung den Suhrkamp-Band zu einem großartigen Buch, das weit über die anderen Veröffentlichungen in diesem Bereich herausragt.

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