Jamal Karsli in Israel
vom 25.07.- 11.08.2002
Quelle: dort finden Sie den Text und auch
noch ergänzende Bilder
Die Demokratische Arabische Partei (DAP) in
Israel hatte mich als Ehrengast zu ihrem vierten Parteitag am 26./ 27.
Juli 2002 eingeladen. Die Demokratische Arabische Partei ist Teil eines
Mehr-Parteien-Bündnisses, das mit vier Abgeordneten in der Knesset
vertreten ist. Die DAP ist eine gemäßigte Partei, deren Vorsitzender,
Abdelwahab Darawshe, für längere Zeit Abgeordneter der israelischen
Arbeitspartei war. Sie setzt sich für die Gleichberechtigung von
Muslimen, Christen und Juden ein und fordert die Abschaffung der
diskriminierenden Gesetze und die Gleichbehandlung von jüdischen und
arabischen Ortschaften. Diese Partei ist ein wichtiger Faktor der
Friedensbewegung, und die Mitglieder versuchen, eine Brücke zu bilden
zwischen Juden und Palästinensern. Sie bedauern sehr, dass durch
die Anwendung von Gewalt viele gemeinsame Bande gerissen sind. Aber sie
sind voller Hoffnung, dass es zu einer friedlichen Lösung kommen wird.
Da ich auf Grund meiner
scharfen Kritik an dem Vorgehen des israelischen Militärs, insbesondere
in Jenin, Zielscheibe einer verleumderischen Medienkampagne geworden
bin, wurde ich auch in Israel bekannt. So kam es zur Einladung. Nach
längerer reiflicher Überlegung über mögliche Schwierigkeiten eines
Besuches in Israel habe ich die Einladung angenommen. Bevor ich meine
Reise antrat, hatte ich das Auswärtige Amt informiert. Ich bat um
entsprechende Sicherheitsmaßnahmen. Selbiges Schreiben ging zur
Kenntnisnahme auch der israelischen Botschaft in Berlin zu. In einer
Presseerklärung habe ich meine Reiseabsichten und Beweggründe für den
Besuch Israels und der besetzten Gebiete dargestellt.
Israelische Medienvertreter haben großes Interesse an der Presserklärung
gezeigt, ganz im Gegensatz zur deutschen Presse, die diese Reise
mehrheitlich ignorierte.
Im Flughafen in Tel Aviv wurde ich von
Vertretern der Demokratischen Arabischen Partei und einer Mitarbeiterin
der deutschen Botschaft empfangen. Der Besuch ist meine Antwort an alle
diejenigen, die versucht haben, mich durch öffentliche
Verleumdungs-Kampagne mundtot zu machen und zugleich eine
Herausforderung, gemeinsam einen gerechten und dauerhaften Frieden im
Nahen Osten zu schaffen. Man hat mir u.a. Antisemitismus unterstellt.
Als Antwort auf diesen Rufmord entschied ich mich, einerseits die
kampagneführende Personen, die Herren Paul Spiegel und Michel Friedman,
zu verklagen und andererseits Kontakte zu gleichgesinnten jüdischen
Menschen zu suchen, die ernsthaften Frieden im Nahen Osten wollen.
Zur Eröffnung des in Nazareth
stattfindenden Kongresses der Demokratischen Arabischen Partei
übermittelte ich die Solidaritätsgrüße der arabischen, muslimischen und
medienkritisch-friedensengagierten Menschen
in Deutschland an das palästinensische Volk. Diese Menschen haben sich
auf vielen Demonstrationen für die Rechte der palästinensischen
Bevölkerung eingesetzt. Zugleich konnte ich die weltweite
Solidaritätserklärung der 33 jüdischen Persönlichkeiten zur Sprache
bringen, die meine Zivilklage gegen die Vorsitzenden des Zentralrats der
Juden in Deutschland unterstützen, wie z.B. der südafrikanische
Minister für Wasser- und Forstwirtschaft Ronnie Kasrils, der Journalist
und Buchautor Shraga Elam, die Rechtsanwältin und Trägerin des
alternativen Friedensnobelpreises, Filicia Langer, der an der
Universität Haifa lehrende Prof. Ilan Pappe, der Politologe Dr. Uri
Davis und der Auschwitz-Überlebende Dr. Hayo J.G. Meyer.Am Kongress
nahmen über 1000 Personen teil.
Die Rede von Präsidenten Arafat
wurde telefonisch aus seinem Amtssitz, den er immer noch nicht verlassen
darf, übertragen. Neben dem Mufti von Jerusalem, Ikrime Sabri,
Rechtsanwalt Ibrahim Kandalaft, Beauftragter der Autonomiebehörde für
christliche Angelegenheiten, Prof. Sari Nusseibeh, Präsident der Al Quds
Universität und PLO-Vertreter in Jerusalem, nahmen die meisten der
arabischen Abgeordneten und andere Mitglieder der israelischen Parteien
teil, darunter der ehemalige Minister und jetziger Abgeordneter Jossi
Sarid und das Parteivorstandsmitglied Latif Dori von der Meretz-Partei
und Ophir Pines-Paz, Generalsekretär der Arbeitspartei. Eine unnötige
Einmischung der israelischen Polizei verursachte während des Kongresses
einen Tumult, welcher den Verlauf des Programms stark beeinträchtigte
und die Eröffnungsfeier fast zum frühzeitigen Abbruch brachte.
Im Anschluss an meinen Kongressbeitrag gab
ich der Journalistin Sylke Tempel, die u. a. für den Berliner
Tagesspiegel schreibt, ein Interview. Frau Tempel gelang es nicht, ihre
feindlich-aggressive Haltung zu verbergen. Das Gespräch ähnelte denn
auch mehr einem Streit als einem Interview. So nahm sie Anstoß daran,
dass ich die historischen Städte Akko, Haifa und Jaffa als
palästinensisch bezeichnete. Sie verglich die aktuellen Besetzung der
palästinensischen Städte durch die israelische Armee mit der Präsenz der
syrischen Armee im Libanon. Ohne selber fundierte Kenntnis zu
besitzen, verharmloste und belächelte sie meine konkreten, gut belegten
Informationen über die israelischen Massenvertreibungsabsichten.
Hinweise, die mittlerweile auch von den Massenmedien nicht mehr
zurückgehalten werden können. Besonders nach der empörenden und
menschenverachtenden Äußerung des israelischen Armeechefs General Mosche
Jaalon, mit seiner Metapher der Palästinenser als „Krebsgeschwür“ und
der israelischen Gewalt- Ausübung als „Chemotherapie“.
Sylke Tempels Schmähartikel (s. Tagesspiegel v. 29.7.02) über meine
Gastgeber, über Herrn Shraga Elam und meine Person fiel polemisch,
arrogant und wahrheitswidrig aus und spiegelte damit lediglich die
Vorurteile gegenüber Arabern wider.
Die israelischen Medien berichteten
hingegen mehrheitlich sachlich über Besuch und Kongress, z.B. das
Interview in der Tageszeitung Ha'aretz oder das halbstündige Gespräch im
israelischen Fernsehen auf Kanal 9, mit dem bekannten Journalisten
Gideon Levy sowie das lange Interview auf Kanal 10. Alle arabischen
Medien in Palästina und Israel berichteten umfangreich. Der Besuch
des einzigen deutschen Politikers syrischer Herkunft war Anlass zu
besonderer Freude und vermittelte neue Hoffnungen auf internationale
Öffentlichkeit und den Fortgang der Friedensverhandlungen.
Während des Besuches gab es Gespräche mit
israelischen Friedensaktivisten, wie Prof. Ilan Pappe, Dr. Uri Davis,
Vorsitzender der Vereinigung für die Verteidigung der Menschenrechte in
Israel, Bilha Golan von der Coalition of Women for Just Peace und
Physicians for Human Rights, mit Jamil Dakwar von Adalah und mit Raslan
Mahagna von B`TSELEM und mit Judith Elkana und Norah Orlow vom
Machsom-Watch.
Mit Ilan Pappe und Uri Davis vereinbarten wir gemeinsame Aktionen. Aus
zeitlichen Gründen kam das bereits vereinbarte Treffen mit Gideon Spiro
von „The Israeli Campaign for Mordechai Vanunu“ nicht zustande. Die
beiden öffentlich für den Frieden propagierenden israelischen
Parlamentarier Jossi Sarid und Jossi Beilin ließen sich leider zu einem
Gesprächsboykott
instrumentalisieren mit der Begründung, dass ich kritisiert habe, die
israelische Armee wende Nazi-Methoden an. Diese Art von Kritik lassen
sie anscheinend nur gelten, wenn sie von israelischen Prominenten zum
Ausdruck gebracht wird. Kritik ist aber entweder zutreffend oder
unzutreffend, jedenfalls unteilbar und nicht an den Stand der Person,
die Religion oder die Nationalität des Kritikers gebunden.
Der in Deutschland als Friedensaktivist weit
bekannte Publizist Uri Avnery war nicht bereit, sich mit mir zu treffen.
Dies, nachdem er mir noch vor meiner Abreise spontan und ohne
irgendwelche Einschränkungen sofort einen Treffen zugesagt hatte. Seine
Absage erfolgte nach einer Intervention Sylke Tempels und verletzte
nicht nur mich, sondern auch meine sich ganz für den Frieden
einsetzenden Gastgeber.
Außerdem traf ich mich mit den folgenden
arabischen Abgeordneten in der Knesset zusammen: Dr. Azmi Bishra, Dr.
Ahmed Tibi, Talab Elsana, Abdulmalick Dahamshi und Hashem Mahameed. Mit
ihnen haben wir eine Zusammenarbeit für den Frieden in Form von
Veranstaltungen und Aktionen in Deutschland und Israel vereinbart. Es
war ein besonderer Erfolg der Reise. Für mich war wichtig, mit den
Vertretern der arabischen Minderheit, die 20 % der Bevölkerung in Israel
ausmacht, zusammen zu kommen, um auch ihnen meinen Einsatz für den
Frieden deutlich zu machen.
Höhepunkt der Reise war der Besuch bei
Präsident Jassir Arafat in den Resten seines Amtssitzes in Ramallah. Im
Gespräch mit Präsident Arafat konnte ich meine
Beschämung zum Ausdruck bringen, dass der mit
einer hauchdünnen - wahrscheinlich gefälschten - Mehrheit von 200
Stimmen „gewählte“amerikanische Präsident von einem vom Volk frei
gewählten Präsidenten verlangt, zurückzutreten. Allein die
palästinensischen Wähler dürfen entscheiden, wer ihr Präsident ist. Die
miserablen Umstände, unter denen Jassir Arafat sein Amt ausüben muss,
verhinderten nicht unser Gespräch zu verschiedenen Themen. Es gab dabei
Gelegenheit, Positionen bezüglich des Friedens in der Region und die
meinerseitigen jüngsten deutschen Bemühungen hierzu, auszutauschen.
Arafat wiederholte dabei, dass
Scharon keinen Frieden will, trotz vieler
Angebote, die ihm unterbreitet wurden. Wir erörterten auch die Lage des
Iraks und stimmten überein, dass Prinz Hassan von Jordanien zusammen mit
Teilen der irakischen Opposition ein gefährliches Spiel treiben, welches
in einer neuen Teilungspolitik des Iraks und Saudi-Arabiens enden
kann, einem unverantwortlichen Spiel mit dem Feuer letztlich für die
gesamte Region. Wir stehen vor einem neuen nahöstlichen Teilungsplan wie
1916 beim Sykes-Picot-Abkommen, welches die Namen des damaligen
britischen Außenministers und des französischen Botschafters in
Großbritannien trägt.
Ich besuchte Majdel-Shams, die syrische
Stadt auf den Golan Hohen und eine Reihe palästinensischer Städte,
Jerusalem, Haifa, Jaffa, Akka, Nazareth, Ramallah,
Um-al-Fahem, einschließlich Jenin, Stadt
und Flüchtlingslager. In den ersten Stunden meines Besuchs von Jenin
hatte es mir die Sprache verschlagen. Anderthalb Stunden vor meiner
Ankunft hatte die israelische Armee wieder einmal ein Gebäude gesprengt.
Überall stiegen noch Rauchschwaden auf. Ein Bild des traurigen Zustandes
von Land und Leuten. Die Menschen sind aussichtslos bis verzweifelt.
Hinzu kommt die dramatische und sich unabsehbar verschlechternde
Versorgungslage mit Nahrung, Medikamenten, Wasser, eigentlich allem
Lebensnotwendigen. - Aber man muss den Menschen hoch anrechnen, dass sie
trotz Vertreibung, Militärjustiz und fortgesetzter
planmäßiger Zerstörung ihrer Häuser und Lebensgrundlagen zurückgekehrt
sind und immer wieder zurückkehren. Mehr als 1300 Häuser und Wohnungen
sind von der israelischen Armee innerhalb der jüngsten Vertreibungsphase
zerstört worden. Obwohl die meisten dieser Wohnungen nicht mehr
bewohnbar waren, kamen die Menschen zurück. Die Solidarität und der
Zusammenhalt untereinander ist hier unvorstellbar groß. Was mich
ebenfalls tief berührt, ist die ungebrochene übergreifende Solidarität
der in Israel lebenden arabischen Bevölkerung.
Ein weiterer Besuch galt den Beduinen im
Negev. Die israelische Regierung versucht sie zu vertreiben und ihren
Boden zu beschlagnahmen, indem sie ihre Dörfer für illegal erklärt. Sie
haben oft kein Wasser und keinen Strom,
die Kinder gehen mehrere Kilometer täglich zu
Fuß zur Schule. Über das Leiden der Bewohner der Negev-Region werden wir
die deutsche Öffentlichkeit in Form von Ausstellungen und
Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten Talab Elsana
informieren.
Bei meinem Besuch auf
den Golan Höhen habe ich mit den Menschen dort gesprochen. Jeden Tag
beweisen sie den Israelis, dass sie weder mit Gewalt noch mit
Versprechungen sich israelisieren lassen. Sie fühlen sich Syrien
zugehörig, es ist syrischer Boden und sie werden keinen israelischen
Pass annehmen. Mit dieser Politik wird Israel keinen Erfolg haben. Ich
habe mit unserem Gastgeber, Herrn Dr. Taisser Maray, weitere
Zusammenarbeit vereinbart, um der Weltöffentlichkeit das Leiden der
syrischen Bevölkerung unter der israelischen Besatzungsmacht
deutlicher bekannt zu machen.
Fazit:
Ich wusste nicht, wie dicht Palästinenser und
Israelis zusammenleben. Die Verflechtung der Gesellschaften ist sehr
eng. Ohne Übergang ist man manchmal plötzlich in den besetzten Gebieten
oder wieder in Israel. So ergeht es auch den palästinensischen Familien.
Alle dort gewonnenen Erfahrungen und geführten
Gespräche zeigen eindeutig, dass nur ein gemeinsamer Weg zum Frieden
führen kann. Man kann das engverwobene Lebensnetz der betroffenen
Menschen nicht auseinanderreißen. Es ist so, als versuche jemand
ein im Stacheldraht hängendes Seidentuch ohne Verletzungen einfach
herauszureißen.
Mit meinen arabischen
und israelischen Gesprächspartnern stimme ich vollständig darin überein,
dass die Politik Scharons der Welt, der gesamten Region, den
Palästinensern und Israelis Unheil bringt. Scharon wurde damals gewählt,
weil er versprach, dass er in 100 Tagen die Intifada niederschlagen
werde. Dies hat er nicht geschafft. Seit 23 Monaten fordert die
israelische Politik täglich mehr Opfer.
Wir stimmen in zwei
Dingen völlig überein: Scharon wird es niemals schaffen, das
palästinensische Volk in die Knie zu zwingen, und die Palästinenser
werden mit Gewaltakten Israel als Staat nicht in Gefahr bringen. Die
Ursachen dieser Gewaltspirale liegen in der israelischen Besatzung, die
umgehend beendet werden muss. Man muss zum Verhandlungstisch
zurückkehren, unter der Beteiligung des sogenannten Quartetts aus UNO,
USA, EU und Russland. Ansonsten steht die Region vor einer
unvergleichbaren Katastrophe, wenn Sharon versuchen wird, seine Pläne,
wie die Massenvernichtung und Vertreibung sog. Transfer, zu
verwirklichen.
Viele verurteilten, dass Israel seine Grenzen
vorsätzlich nicht nachvollziehbar definiert und damit Willkürübergriffe
ermöglicht und weiterhin gegen mehr als 70 UNO-Resolutionen verstößt.
Israel darf nicht weiter diskriminierende Gesetze verabschieden, wie
z.B.: dass in Staatseigentum befindliche Liegenschaften nur an Juden
verkauft werden dürfen, die Ausbürgerung der arabischen Bevölkerung in
Israel, die Kürzung der Leistungen für die palästinensischen Kinder, die
ständige Reduzierung kommunaler Haushaltsmittel für arabische Städte in
Israel oder die Ausgrenzung der arabischen Abgeordneten in den
Ausschüssen der Knesset. Der Entwicklungsunterschied zwischen den
jüdischen und den
arabischen Regionen innerhalb Israels ist deutlich erkennbar, die
Diskrepanz in der Autonomieregion vollständig fatal und steht in offenem
Widerspruch zu den vielbeschworenen „demokratischen“ Verhältnissen
Israels.
Meine Hoffnung auf eine friedliche Lösung
besteht darin, dass die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Israel
ihre Sicherheit im Frieden und nicht im Krieg sehen würde. Die
demokratischen Parteien und die Friedensbewegung in Deutschland dürfen
nicht weiter eine menschenrechtsblinde Regierung in Israel unterstützen
und Verrat an der Friedensbewegung in Israel und anderswo betreiben.
Bleiben die Verhältnisse wie sie sind, dann machen sich viele zu
Mitläufern oder gar zu Mitschuldigen, und zwar auch und zum wiederholten
Mal in Deutschland.
Jamal Karsli MdL
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