Die albernste Schau in der Stadt
Uri Avnery, 20.9. 03
Shimon Peres
feiert. Shimon Peres? Die ganze Welt feiert mit ihm.
Was hat er denn zu feiern?
Nun, er hat das Alter von 80
Jahren erreicht. Ein respektables Alter. Ich gönne es ihm.
(denn ich selbst bin jetzt
achzig geworden – und ich hatte gerade auch eine Geburtstagsfeier.)
Wenn man 80 Jahre alt geworden
ist, ist es üblich, einige Freunde einzuladen. So lud auch Peres ein paar
Kumpel ein. Zum Beispiel Bill Clinton und Mikhail Gorbachow, Frederik de
Klerk und Joschka Fischer, die Ministerpräsidenten von Slowenien,
Deutschland und Malta, den von der Elfenbeinküste nicht zu vergessen, ein
paar Milliardäre, eine Auswahl von Ministern verschiedener Länder, einige
Schauspieler und Sänger und den Holocaustisten * Claude Lanzman.
Diplomatie, Unterhaltung und
der Holocaust, eine geschmackvolle Mischung.
Ein ganzes Luxushotel war für
400 erlesene Gäste gebucht worden. 1200 Polizisten wurden in Bewegung
gesetzt, Straßen zweier Städte geschlossen. Ausgezeichnet. Wie der Triumph
eines siegreichen römischen Kaisers, der aus dem Krieg heimkehrt.
Und das ist die seltsame Seite.
Was hatte er eigentlich zu
feiern?
Er ist der Vorsitzende der
Labourpartei. Die Labourpartei liegt aber in Trümmern. Sie hat aufgehört,
eine funktionierende Partei zu sein. Ihre Mitglieder spuken wie Geister in
den Korridoren umher. Ihre Ortsgruppen ein Trümmerfeld. Sie hat kein
Programm, keinen Plan. Keiner weiß, was sie will. Keiner weiß, wozu sie
existiert. Falls sie tatsächlich noch existiert.
Es stimmt, Peres ist nicht
allein für den Kollaps verantwortlich. Sein Urheber ist Ehud Barak, der
Meister der Katastrophe, der die historische Lüge verbreitete, dass wir
keinen Partner für den Frieden haben. Damit bereitete er den Weg für Ariel
Sharons Aufstieg zur Macht vor. Aber Shimon Peres schloss sich Sharons
Regierung an und war ihm gegenüber treu. Er verbreitete in aller Welt den
Mythos, dass Sharon ein Mann des Friedens sei, bereitete ihm den Weg nach
Washington und half mit bei allen Gräueltaten: den „gezielten Tötungen“,
den Hauszerstörungen en masse, den Vergrößerungen der Siedlungen in
rasendem Tempo.
Nun hat die Labourpartei einen
so miserablen Zustand erreicht, dass Sharon nicht einmal daran
interessiert ist, sie als Juniorpartner in seiner Regierung zu haben. Wozu
braucht er sie denn noch? Er hat nun Tommy Lapid. Da gibt es kaum einen
erbärmlicheren Anblick als eine verbrauchte Hure, die keiner mehr haben
will.
Seitdem Peres in Ermangelung
eines anderen zum Vorsitzenden der Partei ernannt wurde – kein anderer
glaubwürdiger Kandidat stand bereit – hat sie eine Atmosphäre wie auf dem
Friedhof. Kein Hauch frischer (oder irgendeiner )Luft erreicht sie. Nichts
geschieht. Von Zeit zu Zeit widmet ein TV-Kanal einer Parteitagung ein
paar Minuten, einfach aus Mitleid oder aus Schadenfreude.
Shimon Peres hat keine Zeit,
sich mit der Partei zu befassen, weil er mit der Party beschäftigt ist.
Das ist ein Full-Time-Job mit Überstunden.
Es ist auch eine Katastrophe.
Das Verschwinden der Arbeiterpartei hat ein schwarzes Loch im politischen
System hinterlassen. Keine Demokratie kann ohne eine effiziente und
kämpferische Opposition funktionieren. Wenn die Regierung von einer Person
wie Ariel Sharon geleitet wird, die Israel in eine vorhersehbare
Katastrophe führt, dann ist die Abwesenheit einer Opposition ein
nationales Verbrechen.
Peres denkt nicht so: „Wozu
benötigen wir eine Opposition?“ fragte er kürzlich in einem seiner
unzähligen Interviews in den Medien. Und tatsächlich wozu?
Schließlich verbirgt Peres
seinen Wunsch nach einem Regierungssitz nicht, egal, in welcher Regierung,
sogar (oder besonders) in einer Regierung unter Ariel Sharon.
Und warum nicht? Was ist der
große Unterschied zwischen Sharon und Peres, abgesehen von Sharons
Charisma und Peres Rekord an Misserfolgen? Ist Peres gegen die Ermordung
der palästinensischen Führer? Nein. Ist er gegen die „Beseitigung“ von
Yasser Arafat? In einem seiner Interviews sprach er sich schwach dagegen
aus, aber er bringt seine Partei nicht dazu, gegen diese sich nähernde
Katastrophe zu opponieren. Gegen die Zerstörung von Häusern?
Gegen das Entwurzeln der Bäume?
Bestenfalls ein donnerndes Schweigen.
Peres ist in seiner langen
Karriere alles gewesen. Er ist ein extremer Falke gewesen und eine
gurrende Taube. Er ist der Vater von Israels Atombombe und ( nach
intensivem Lobbying) auch ein Friedensnobelpreisträger. Er war einer der
Hauptinitiatoren des Krieges 1956 – in Gemeinschaft mit den beiden üblen
Kolonialmächten jener Zeit, Frankreich und Britannien – und er war ein
Partner des Oslo-Abkommens. Er war der Vater der Siedlungen in der
Westbank und der Schöpfer des „Guten Zaunes“ an der libanesischen Grenze.
Er war der Fürsprecher für den Einmarsch in den Libanon – und nur ein paar
Tage später war er der Hauptredner bei der Peace Now-Demonstration gegen
ihn.
Er hat alles unterstützt. Zur
einen Zeit erklärte er, dass Israel nicht ein nah-östlicher sondern ein
„Mittelmeerstaat“ sei. Jahrelang befürwortete er die „Jordanische Option“
und ignorierte die Existenz des palästinensischen Volkes. Dann schüttelte
er die Hand Arafats und erfand den „Neuen Nahen Osten“. Und während all
dieser Jahre hat er niemals eine Wahl gewonnen.
Was bringt ihn jetzt dazu zu
feiern?
Shimon Peres trägt einen großen
Teil der Verantwortung für den elenden Zustand, in dem sich Israel jetzt
befindet, für den andauernden Konflikt mit den Palästinensern, für die
Zerstörung des israelischen Friedenslagers, für die Stärkung der
Likudregierung, für die Vorbereitung des Weges für Ariel Sharon, der nun
durchaus in der Lage ist, die Zerstörung Israels zustande zu bringen.
Auch in den Jahren des
Niedergangs des Römischen Imperiums feierte man für einen besiegten und
gedemütigten General keinen Triumph. Nur in Israel. Weil in Israel nichts
so gut gelingt wie der Misserfolg.
*Ein von Uri Avnery - auch im Hebräischen - neu
geschaffener Terminus für jemanden, der den Holocaust zu seinem Beruf
gemacht hat.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Alle deutschen Texte von
Avnery Uri
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