
Buchkritik von Arne Hoffmann
Buchkritik von W.Frankenberg
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Buchkritik: Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren. Von der Lust am Einknicken
Ressentiments bestens
bedient
Arne Hoffmann
Die angeblich typisch
deutsche Lust an der Angst
ist schon ein eigentümliches
Phänomen. In immer neuen
Wellen werden tatsächlich
bestehende Probleme so weit
dramatisiert, als ob wir
kurz vor dem Weltuntergang
stünden. Gestern noch drohte
die Apokalypse durch den
Öko-Kollaps, einen
bevorstehenden Weltkrieg,
BSE, SARS und Vogelgrippe,
heute ist es der Islam. Wer
als Journalist zum richtigen
Zeitpunkt die richtige Welle
erwischt, kann darauf ganz
erfolgreich mitsurfen. Dabei
richten sich in politisch
unruhigen Zeiten
entsprechende Szenarie der
Bedrohung häufig gegen
gesellschaftliche
Minderheiten.
Medienwissenschaftler
sprechen dann von "Moral
Panics". Henryk Broder
spielt auf dieser Klaviatur
der Angst momentan mit
besonderem Erfolg.
In "Hurra, wir
kapitulieren!" hat er so
einige in der Tat
verstörende Einzelfälle
zusammengestellt. Dabei
fällt auf, dass er sein Buch
- entgegen der Ankündigung
im Vorwort – nicht gegen
"den Terrorismus", sondern
explizit gegen "den Islam"
richtet. So spricht Broder
von "1,5 Milliarden Moslems
in aller Welt, die chronisch
zum Beleidigtsein und
unvorhersehbaren Reaktionen
neigen". 1,5 Milliarden –
das ist doch mal eine
ordentliche Sippenhaft! Vor
zehn Jahren noch nannte man
Leute, die wegen eines
türkischen Messerstechers
sämtliche Türken als
Gewalttäter bezeichneten,
als "ausländerfeindlich".
Heute werden alle, die
anders denken, als
"politisch korrekte
Gutmenschen" verunglimpft.
Geschickt montiert
Broder ganz unterschiedliche
Dinge zusammen. So etwa wenn
es um den Karikaturenstreit
geht: "Bei Jyllands-Posten
treffen derweil die ersten
Morddrohungen ein. Am
14. Oktober demonstrieren
3000 Moslems nach dem Freitagsgebet auf dem
Rathausplatz von
Kopenhagen." Nun sind
Morddrohungen ein
Verbrechen, und
Demonstrationen ein
gesetzlich geschützter
Ausdruck von
Meinungsfreiheit. Broder
aber scheint es wichtig zu
sein, einige wenige
Durchgeknallte an das Bild
einer furchteinflößenden
Masse zu koppeln.
Dieses Bild hat mit den
Realitäten hierzulande wenig
bis gar nichts zu tun. Wie
zuletzt der Präsident des
Bundeskriminalamtes, Jörg
Ziercke, betonte, sind die
Muslime hier mit
99,9 Prozent fast durchgehend friedlich und haben nicht
das geringste mit
fanatischen Tendenzen zu
schaffen, die einen
Generalverdacht
rechtfertigen würden. Diese
99,9 Prozent kommen in Broders Buch schlichtweg
nicht vor. Er beschäftigt
sich ausschließlich mit dem
einen Promille, das übrig
bleibt. Der Kabarettist
Jürgen Becker gab bei
"Sabine Christiansen" auf
solche Formen selektiver
Wahrnehmung die passende
Antwort: Wenn sich in mir
bereits das Vorurteil
eingenistet hat, dass
sämtliche BMW- oder
Mercedes-Fahrer
unverantwortliche Raser und
Drängler sind, kann ich mir
das auf der Autobahn Tag für
Tag selbst bestätigen. Mit
der komplexen Wirklichkeit
hat das aber nichts zu tun.
Natürlich ist es für
uns alle unerlässlich, die
Meinungsfreiheit beständig
zu verteidigen. Aber man
muss sich dazu in keine
Angstzustände
hineinsteigern. Zur
Veranschaulichung: In meiner
Krimi-Satire "Die
Sklavenmädchen von
Wiesbaden" provoziert der
Anti-Held eine Gang leicht
erregbarer Islamisten dazu,
das Gebäude eines
Widersachers zu stürmen,
indem er behauptet, dieser
vertreibe Pornos, in denen
es Mohammed mit
72 Jungfrauen und einer Ziege treibe. Kurze
Zeit später wird der
Betreffende selbst von
Fanatikern als
"Anti-Mohammed" (in der
Satire die muslimische
Variante zum "Antichrist")
verfolgt. Sitze ich wegen
solchen Spitzen nun
schlotternd und bebend
hinter meinem Schreibtisch?
Natürlich nicht.
Genausowenig wie Henryk
Broder wegen seiner Attacken
Angst vor muslimischen
Rollkommandos haben müsste.
Oder die Verfasser der
zahlreichen Weblogs, die
nichts anderes als Islamhass
zum Thema haben. Oder Jörg
Haiders FPÖ, die
flächendeckend "Daham statt
Islam" plakatierte. Dass es
in Mitteleuropa tabu sei,
den Islam zu kritisieren,
ist ein Popanz: Nichts
anderes geschieht seit
Jahren in etlichen Büchern,
Artikeln und Kommentaren.
Verständlich ist, dass
manche Muslime über dieses
Dauerfeuer irritiert sind –
und verletzt, wenn man ihre
Religion gezielt durch den
Schmutz zieht. Das ginge
Nicht-Muslimen kaum anders,
aber nur bei Muslimen werden
diese verletzten Gefühle
durch Broder und Co.
zusätzlich als "schon wieder
beleidigt" abgefertigt.
Offenbar dürfen Muslime
beleidigt werden, aber auf
keinen Fall beleidigt sein.
Vor einiger Zeit habe
ich in einem Interview mit
einem in Broders Ecke als
"islamistisch" verschrieenen
Internetportal geäußert,
dass ich auch eine
provokative Islamkritik für
berechtigt halte, und ich
habe die Lektüre der
lesbischen feministischen
Islamkritikerin Irshad Manji
empfohlen. Das blieb von den
muslimischen Betreibern des
Portals unwidersprochen,
wurde veröffentlicht, und
ich habe danach niemals
Anfeindungen von auch nur
einem einzigen Muslim erlebt
– wohl aber heftige
Anfeindungen mit gewaltigem
Furor von Henryk Broder und
Co., weil ich "mit solchen
Leuten" überhaupt einen
Dialog geführt und dabei
auch noch das Handeln der
israelischen Regierung
kritisiert habe. So etwas
betrachten Broders Kreise
nun selbst als "politisch
nicht korrekt".
Vergleichbare Reaktionen von
Muslimen wären sofort in das
Raster "dauerempört"
eingeordnet worden. In
seinem Buch rückt Broder
sogar renommierte Kritiker
der israelischen Politik wie
Noam Chomsky und Uri Avnery
in die Nähe von
Antisemitismus. Gilt
Meinungsfreiheit nur,
solange es gegen Muslime
geht? Diese Doppelzüngigkeit
ist unseriös.
Wer sich heutzutage mit
überzeugten Muslimen auch
nur unterhält, gilt für
Broder und seine Anhänger
bereits als "Dhimmi": das
tagesaktuelle Gegenstück zum
"Judenfreund" der zwanziger
Jahre. Eines ist klar: Wenn
jemand Broders eigene
Religion so angreifen würde
wie er den Islam, dann würde
derjenige damit nicht
fröhlich durch sämtliche
deutschen Talkshows tingeln
können. Aber solange es
gegen die muslimische
Minderheit geht, kann man
sich dem Applaus der
Mehrheitsgesellschaft sicher
sein. Wenn verschiedene
jüdische Organisationen
ausdrücklich auf die
Gemeinsamkeiten zwischen
Antisemitismus und
Antiislamismus hinweisen,
verdienen sie damit volle
Unterstützung.
Leider hat Broders
doppelte Moral Methode. Das
tritt besonders schmerzhaft
zutage, wenn er selbst die
US-amerikanischen
Folterlager immer wieder mit
Nachdruck verteidigt. Für
ihn "übersteigt die Idee,
man könne dem Terror nur mit
rechtsstaatlichen Mitteln
beikommen, die Grenze zum
Irrealen." Auch hier spielt
Broder wieder das alte
Spiel:
Menschenrechtsverletzungen
sind nur von Übel, wenn sie
in islamischen Ländern
geschehen. Zu den Werten des
Westens, die verteidigt
gehören, zählen sie für ihn
offenbar nicht.
Sobald Broder
schließlich auf die
Weltpolitik zu sprechen
kommt, ist die Katastrophe
perfekt. Vor wenigen Jahren
plädierte er noch dringend
für einen Angriff auf den
Irak. Heute hat sich daraus
ein für jeden sichtbares
Fiasko entwickelt. Die
Behauptungen über Saddam
Husseins angebliche
Massenvernichtungswaffen
oder eine Unterstützung der
Al Qaida konnten hingegen
nicht bestätigt werden. Ist
Broder wenigstens in der
Lage dazuzulernen?
Pustekuchen: Heute macht er
ebenso tüchtig Front gegen
den Iran. Wie genau hier
eine Lösung aussehen soll,
verschweigt er uns
allerdings. Dafür hämt er
neidvoll gegen ausgewiesene
Experten wie Bahman Nirumand,
die solche Konzepte liefern.
Generell ist ein
Ärgernis an Broders Buch,
dass es lediglich eine
allgemeine Verunsicherung
aufgreift und auf einer
recht banalen, provokativen
Ebene thematisiert, aber
keine brauchbaren Lösungen
anbietet. Kompromisse sind
in Broders Welt
"Einknicken", Dialog ist "Appeasement",
- was bleibt da übrig?
Eifrig weiter Muslime
drangsalieren, um sich
selbst zu beweisen, wie
tapfer man doch ist? Was
intelligente Ideen betrifft,
die über eine
Wir-gegen-die-Logik
hinausgehen, herrscht bei
Broder Totalausfall. In
seinem erklärten Vorbild,
den USA unter George Bush,
ist die Zahl der Fälle, in
denen Muslime Gewalt
ausgesetzt oder
benachteiligt worden sind,
2006 um knapp dreißig Prozent im Vergleich zum Vorjahr
gestiegen.
39 Prozent der Amerikaner geben Vorurteile gegenüber
Muslimen zu und fordern,
dass diese einen speziellen
Personalausweis tragen
sollten. Mehr als einer von
fünf möchte keinen Muslim
als Nachbarn haben, obwohl
beinahe
60 Prozent noch nie einen getroffen haben. Das
sind Zustände, die ich in
Deutschland nicht haben
möchte. Leider bereitet
Henryk Broder mit seiner
aufstachelnden Polemik den
Weg dazu.
Buchkritik von Arne Hoffmann | Buchkritik von W. Frankenberg
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Leser...
Broder verkörpert den Boulevard wie Bild und
Spiegel,
schrill,
immer
unterhaltsam,
aber eben
auch
populistisch,
also
volkstümlich
und um
Beifall
heischend,
dafür
weniger um
Sauberkeit
in der
Argumentation
und um die
Sache bemüht
- oder auch
nur eine
Sache und
ein
bestimmtes
Ziel im
Auge, das
unbedingt
durchgesetzt
werden muß,
koste es,
was es wolle.
Quelle
Hannes Edinger (Wien) schreibt: "In seinem populisitschen
Wutausbruch
reißt Broder
aber die
ganze Welt
aus dem
Zusammenhang.
Aus den
Scherben der
Wahrheit
konstruiert
er dann ein
Mosaik
undifferenzierter
Halbwahrheiten:
Hier Gut,
dort Böse.
Mit genau
dieser Art
der
allgemein
verständlichen
"Informationsaufbereitung"
- man könnte
sie auch
Propaganda
nennen -
haben
Extremisten
(in allen
Lagern) den
Islamismus
erst groß
gemacht.
Dass der
Autor
keinerlei
realistische
Lösungsansätze
vorzuweisen
hat, passt
nur allzu
gut zu
seinem
polarisierenden
Stil.
Im Sinne der
Stärkung
einer freien
Gesellschaft
ist der Text
kontraproduktiv,
und so
gesehen ist
es gut, dass
sich der
Autor darin
ständig
selbst
disqualifiziert:
So schreibt
er
beispielsweise
auf Seite
124: "Die
Idee, man
könnte dem
Terror nur
mit
rechtsstaatlichen
Mitteln
beikommen,
übersteigt
die Grenze
des
Irrealen. Es
ist, als ob
man die
Feuerwehr
auffordern
würde, sich
bei ihren
Einsätzen an
die
Straßenverkehrsordnung
zu halten,
und auf
keinen Fall
eine rote
Ampel zu
überfahren".
Diese zwei
Sätze sind
repräsentativ
für das
ganze Buch:
Die
Methapher
mit der
Feuerwehr
ist völlig
lahm, weil
die
Straßenverkehrsordnung
ohnehin
immer
Vorrang für
Einsatzfahrzeuge
vorsieht.
Und mit
diesem
unrichtigen
Vergleich
wird die
Abschaffung
des
Rechtsstaates
propagiert!
Also wer
demontiert
hier die
Werte einer
freien
Gesellschaft!?
Henryk M.
Broder
verliert mit
diesem Buch
nicht nur
jede
Legitimation,
sich über
irgend eine
Art des
Extremismus
zu erbosen,
sondern er
ist Teil
davon."
Quelle
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