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Die grüne Kanzlerkandidatin, Israel und die Palästinenser

Viele hehre Ankündigungen, aber vom Ansatz einer neuen Nahost-Politik ist nichts zu sehen

Arn Strohmeyer - 27.05.2021

Man erinnert sich noch gut an den Besuch des grünen Parteivorsitzenden Robert Habeck in Israel und Palästina. Der Politiker hatte dort hoch gestellte Gesprächspartner und hat sicher auch einiges von der realen Situation im „Heiligen Land“ gesehen. Weder an Ort und Stelle noch wieder zu Hause äußerte der Grüne, der ja auch so etwas wie ein Vordenker seiner Partei ist, ein einziges Wort der Kritik über die schlimme Situation dort. Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen, war ganz offensichtlich seine Devise.

Zwei Äußerungen machte er dann dennoch: Über seinen Besuch in Hebron sagte Habeck, es sei für ihn neu gewesen, „wie schnieke die Siedlungen, die ich gesehen habe, sind, wie professionell sie geplant und gebaut sind und wie das die strategische Ausrichtung des Siedlungsbaus manifestiert, im wahrsten Sinne des Wortes." Auch machte es ihm großen Eindruck, wie die Menschen im israelischen Dorf Sderot an der Grenze zum Gazastreifen mit ihren Traumata umgehen, die – so sagt er – von den Raketenbeschuss von der „anderen Seite“ herrühren. Ganz rührend: Er durfte in Sderot einen fingergroßen sibirischen Hamster in die Hand nehmen. Mit Streicheln dieser possierlichen Tierchen bekämpfen die Kinder und Erwachsenen ihre Angst vor den Raketen der „anderen Seite“. Einfach rührend! Da fragt man sich, womit die palästinensischen Bewohner im Gazastreifen ihre Angst vor den fast immer wiederkehrenden israelischen Bombenangriffen bekämpfen, die jedes Mal ganze Häuser oder Stadtviertel dem Erdboden gleichmachen und auf die Zivilbevölkerung keine Rücksicht nehmen. Sein Urteil über die Reise fasste Habeck dann so zusammen: „Für mich war's ein einziger Ansporn. " Wozu ließ er allerdings offen.

Nun weiß Habeck natürlich genau, dass ein falsches Wort auf dem glitschigen Israel-Terrain das Ende der Karriere bedeuten kann. Die Mainstream-Medien, die Kleins, Becks und Schusters lauern nur darauf, einen neuen Fall von „Antisemitismus“ anprangern zu können. Aber von einem führenden Vertreter einer Partei, die ab Herbst die deutsche Politik – vor allem auch die Außenpolitik – mit völlig neuen Impulsen gestalten will, kann man ja wohl mehr erwarten.

Nun ist nicht Habeck Kanzlerkandidat geworden, sondern Annalena Baerbock. Sie ist angetreten, die schöne neue grüne Welt in die politische Tat umzusetzen. Alles soll viel besser werden als bisher, versichert sie ständig. Auch der Außenpolitik wolle man einen ganz neuen Stempel aufdrücken: Menschenrechte und Völkerrecht sollen im Zentrum grüner Außenpolitik stehen, und außerdem sind die westlichen Werte Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit entscheidende Kriterien. Was heißt: Den liberalen Demokratien stehen die Autokratien als der politische Gegner gegenüber. Was ja die gefährliche mögliche Aussage einschließt: Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen. Da ist es dann zum nächsten Kalten Krieg nicht mehr weit.

Wo ist da aber der Unterschied zu der hohlen Rhetorik von CDU/CSU, SPD und FDP, die sich auch ständig auf die „westlichen Werte“ berufen, sich aber einen Dreck um sie scheren oder sie sogar permanent verletzen? Der gerade zurückliegende Krieg zwischen Israel und der Hamas wäre eine gute Gelegenheit für die Grünen und ihre Kandidatin gewesen, das groß propagierte außenpolitische Programm einmal in der Öffentlichkeit zu demonstrieren und eine angemessene Analyse des Geschehens im Nahen Osten abzugeben.

Aber was verkündete die grüne Kanzlerkandidatin? Sie verurteilte scharf die „Terrorangriffe“ der Hamas auf Ziele in Israel; bekannte sich zur „rückhaltlosen Solidarität mit Israel“ und sein „Recht auf Selbstverteidigung“; bekräftigte, dass „die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson“ sei, forderte die Entsendung von deutschen und EU-Vermittlern in den Nahen Osten und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen. Und sogar Waffenlieferungen an Israel – z.B. U-Boote – schloss die Kandidatin im Gegensatz zu früher nicht mehr aus. Das Kritischste, was sie anmerkte, war, dass im Gazastreifen auch Kinder getötet würden. Wer da Kinder tötet und die immensen Opferzahlen dort verschwieg sie aber.

Alles hinlänglich bekannte Phrasen, wie sie die Alt-Parteien seit Jahren immer wieder verlauten lassen. Was hätte die Grünen-Kandidatin dagegen sagen können oder müssen, um eine neue Nahost-Politik, die auf Völkerrecht und Menschenrechten beruht, anzustoßen oder zumindest einen weiterführenden Diskurs anzustoßen? Sie hätte zuerst einmal ein realistisches Bild der Lage geben müssen. Etwa der Art: Israel verletzt mit der Besatzung der palästinensischen Gebiete, dem Bau von Siedlungen auf geraubtem Land, der schon seit 2007 andauernden Belagerung und völligen Abriegelung des Gazastreifens, also der brutalen Unterdrückung eines ganzen Volkes, permanent seit Jahrzehnten die Menschenrechte, das Völkerrecht und das durch die UNO-Charta und mehrere UNO-Resolutionen den Palästinensern verbürgte Recht auf Selbstbestimmung. Sie hätte auch noch hinzufügen müssen, dass unterdrückte Völker wie die Palästinenser ein Recht auf gewaltsamen Widerstand haben, wenn die Zivilbevölkerung der Gegenseite nicht geschädigt wird.

Die Ursache des Gewaltausbruchs zwischen der Hamas und Israel ist also nicht der „antisemitische“ Hass der „terroristischen“ Hamas gegenüber Juden, hätte sie bekennen müssen, sondern ein mit brutaler Gewalt aufrechterhaltenes Besatzungs- und Belagerungssystem, gegen das sich die Palästinenser auflehnen. Der Gazastreifen ist inzwischen durch Israels Abriegelung und die immer wiederkehrenden israelischen Bombardierungen zur Elendsregion verkommen, die nach UNO-Angaben eigentlich nicht mehr bewohnbar ist.

Die Kandidatin hätte als diplomierte Völkerrechtlerin, worauf sie sehr stolz ist, noch hinzufügen können, dass die völkerrechtliche Begründung für die „Selbstverteidigung“ Israels eher zweifelhaft ist, denn der Gazastreifen ist kein selbständiger Staat, sondern israelisches Besatzungsgebiet. Israel kontrolliert den Streifen vom Lande, aus der Luft und vom Wasser her und führt außerdem das Geburts- und Bevölkerungsregister für die Menschen dort. Letzteres ist für die Ausstellung von Identitätskarten oder Ausweisen sehr wichtig. Ob eine Besatzungsmacht ein Selbstverteidigungsrecht gegenüber den von ihr Besetzten hat, ist unter Völkerrechtlern umstritten.

Die Kandidatin hätte auch noch anfügen können, dass die Raketenangriffe der Hamas, wenn sie in Israel Zivilisten treffen, natürlich völkerrechtswidrig sind – genauso wie die Bombardierungen Israels, die wahllos zivile Ziele (sogar Kliniken, medizinische Zentren, Schulen, Kitas, Wohnungen und Pressebüros) angegriffen haben, die entsprechend hohe Opferzahlen zur Folge hatten. Das Völkerrecht kennt neben dem Schutz der Zivilbevölkerung den Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ bei militärischen Reaktionen. Israel hat sich in allen seinen Kriegen nie darangehalten.

Dass bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas immer eine gewaltige Asymmetrie vorliegt – auf der einen Seite die mit den modernsten Waffen ausgerüstete stärkste Armee des Nahen Ostens, auf der anderen Seite eine Guerilla-Truppe mit selbst gebastelten Raketen, die nicht einmal über eine Zielvorrichtung verfügen – wäre von der Kandidatin ja auch eine Erwähnung wert gewesen. Es sei hier ergänzt, dass für Israel die Dahiye-Doktrin gilt, das heißt, wer auf Israel Raketen abschießt, muss mit unverhältnismäßiger Gewalt rechnen. Dahiye war ein Stadtteil Beiruts, in dem die Hisbollah Büros unterhielt, die für die israelische Armee Militärbasen waren. Die Luftwaffe Israels machte den Stadtteil 2006 weitgehend dem Erdboden gleich.

Dass die Zustände in Israel/ Palästina völlig unhaltbar sind und dringend einer Lösung bedürfen, ist ja kein Geheimnis, auch wenn Israel glaubt, mit dem gegenwärtigen Status quo gut leben zu können. Wenn nichts geschieht, wird die weitere Existenz Israels hoch gefährdet sein. Gerade hat der frühere israelische Geheimdienstchef (Shin Bet) Ami Ayalon bekannt: „Die aktuelle israelische Politik führt ins Verderben. Wir werden nicht in Sicherheit leben, solange unsere Feinde [die Palästinenser] keine Hoffnung haben. Wir nähern uns einer Apartheid, in der eine jüdische Minderheit über eine palästinensische Mehrheit regiert. Wenn es so weit ist, wird das nicht friedlich ablaufen.“ Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Palästinenser aufbegehrten, und dann habe Israel Zustände wie im Libanon oder in Syrien.

Die grüne Kandidatin und ihre Partei haben nicht den Mut, solchen Realitäten ins Auge zu blicken, sie beim Namen zu nennen und in ihre politische Analyse einzubeziehen. Sie wiederholen gebetsmühlenartig die alten Phrasen von „Friedensverhandlungen“, der „Sicherheit Israels als deutscher Staatsräson“ und dem „Recht auf Selbstverteidigung“. Ansätze zu einer realitätsbezogenen neuen deutschen Nahost-Politik gibt es nicht. Die Nähe zur Regierungsverantwortung macht offensichtlich völlig blind. Zur Schadenfreude der Mainstream-Medien sind die Grünen endlich „in der außenpolitischen Realität“ angekommen, aber ihre großen progressiven Ideen haben sie längst einem grenzenlosen Opportunismus geopfert.

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