„Primitiv,
unterwürfig, abartig, kriminell, blutrünstig und böse“ –
„ein Problem, dessen man sich entledigen muss“
Wie israelische
Schulbücher Palästinenser beschreiben /
Die Analyse von Nuri Peled-Elhanan liegt jetzt auch in deutscher
Übersetzung vor
Arn
Strohmeyer -
20.05.2021
Peled-Elhanan, Nurit
Palästina in israelischen Schulbüchern
Verlag Stiftung Hirschler, Otterstadt 2020, ISBN
978-3-9818916-7-6, 28 Euro |
Eine
wissenschaftliche Analyse von Schulbüchern wird in erster Linie
Pädagogen ansprechen, Leute eben, die beruflich mit dem Thema zu
tun haben. Im Fall Israel ist das anders. Denn Israel ist ein
Weltanschauungsstaat und in seinen Schulbüchern wird vor allem
die zionistische Ideologie vermittelt. Da diese Vermittlung von
der Staatsgründung 1948 an mit höchster Intensität betrieben
wurde, verwundert es nicht, dass die Gleichschaltung in diesem
Staat so gut wie vollständig gelungen ist und entsprechende
politische Folgen zeitigte.
Der Beleg für
diese These: Alle politischen Parteien in Israel (abgesehen von
den arabischen Listen) bekennen sich ohne Vorbehalte zur
zionistischen Ideologie und ihrem Ziel, dass ausschließlich die
Juden ein historisches Recht auf das Land Israel/ Palästina (Erez
Israel) haben und dass der jüdische Staat auf diesem Territorium
möglichst „araberfrei“ sein soll. Keine dieser Parteien setzt
sich für eine friedliche Lösung auf gleichberechtigter Basis mit
den Palästinensern ein. Und da das zionistische Projekt im
Einklang mit dem Völkerrecht und den Menschenrechten nicht
durchzusetzen ist, hat der Zionismus seine eigene Moral und
Gesetzlichkeit geschaffen, die all das rechtfertigen und
legitimieren, was der Umsetzung des ideologischen Ziels dient –
und dazu gehören auch extreme Gewalt, also auch Vertreibung und
Massaker.
Die
israelische Erziehungswissenschaftlerin Nurit Peled-Elhanan hat
eine Studie über die Ideologie in den Schulbüchern ihres Landes
vorgelegt, die jetzt auch in deutscher Sprache erschienen ist.
Der Titel Palästina in israelischen Schulbüchern weist
auf das Schwergewicht ihrer Analyse hin. Was die israelische
Wissenschaftlerin da berichtet, ist so ungeheuerlich, dass es
dem Leser bei der Lektüre buchstäblich die Sprache verschlägt
und dass er sein bisheriges Bild von diesem Staat (der „einzigen
Demokratie im Nahen Osten“), auch wenn es bisher schon sehr
kritisch war, noch einmal gründlich revidieren muss. Denn man
lernt bei Nurit Peled Elhanan, wie jungen Israelis der
rassistisch begründete Hass auf die Palästinenser regelrecht
eingetrichtert wird. Man wundert sich dann nicht mehr über die
brutalen Praktiken der Besatzer gegenüber den von ihnen
Besetzten und Kolonisierten oder die gnadenlose Kriegführung,
die Israel gegen dieses Volk praktiziert.
Hier einige
Zitate, wie Palästinenser in israelischen Schulbüchern
diffamiert und voller Verachtung dargestellt werden: Sie werden
da als „schmutzige Massen aufgeputschter Menschen“ mit
„Terrorismus, Primitivität, Frauenunterdrückung, Überbevölkerung
und Fundamentalismus“ in Verbindung gebracht. (S. 44) Und:
„Palästinenser sind primitiv, unterwürfig, abartig, kriminell
und böse.“ Sie sind „ein Problem, das gelöst werden muss.“ (S.
75) Und: Die Palästinenser sind „marginale, rückständige,
feindselige und störende Elemente.“ (S. 80) Und: „Sie sind alle
ähnlich und existieren nur in Herden oder Massen wie Rinder.“
(S. 84) Im Zusammenhang mit der zweiten Intifada werden die
Palästinenser als „teuflische Mörder und Terroristen“
bezeichnet. (S. 116) Palästinensische Frauen gelten als so
unattraktiv, dass jüdische Israelis nicht einmal sexuelle
Phantasien ihnen gegenüber entwickeln können. (S. 45) Auf
Bildern in den Schulbüchern werden Palästinenser meistens als
Kameltreiber und Bauern, die noch mit Ochsen pflügen,
abgebildet. Angehörige dieses Volkes in der modernen Lebens- und
Arbeitswelt kommen bildlich nicht vor.
Palästinenser
sind in israelischen Schulbüchern keine Individuen und
Persönlichkeiten, sondern „Unpersönlichkeiten“, „Probleme“ und
„Bedrohungen“, sie sind „primitiv, parasitär und abstoßend“ und
werden als „Gesetzesbrecher und Diebe“ dargestellt. (S.127f.)
Und: „…dass die Palästinenser als nichts anderes betrachtet
werden können als ein Hindernis oder eine Bedrohung, die
überwunden und eliminiert werden muss.“ (S. 260) Und:
Palästinenser sind gewalttätige, primitive und unvernünftige
Bauern.“ (S. 263) Und: „Sie sind blutrünstige Desperados, die
sich nach Rache sehnen.“ (S. 270) Sie sind eben „Arabush“, ein
Schimpfwort, das in den USA und England der Beleidigung „Nigger“
entspricht. (S. 44) Und: Sie sind „Schläger und die Israelis die
Opfer.“ (S. 259)
Das ist die
Sprache des Unmenschen, man stelle sich vor, irgendjemand würde
irgendwo auf der Welt öffentlich mit einer solchen Hass-Sprache
Juden diffamieren! Frei nach der alten Volksweisheit „Wer im
Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen“, stellt sich die
Frage, wie jüdische Israelis oder auch Juden in der Diaspora
angesichts eines solchen massiven Gebrauchs von rassistischen
Stereotypen, die Chuzpe haben können, andere noch des Rassismus
beschuldigen zu können. Man sollte erst einmal gründlich vor der
eigenen Haustür kehren. Es bleibt in den Schulbüchern aber nicht
bei schlimmen rassistischen Entgleisungen, sondern es wird aus
der Minderwertigkeit der „Anderen“ abgeleitet, dass die
Landkonfiszierungen, Diskriminierung, Marginalisierung, Teilung,
Vertreibung und Vernichtung der palästinensischen Araber legitim
sind, die durch den Sicherheitsanspruch [der Juden]
gerechtfertigt und gepriesen werden als Verwirklichung der
biblischen Prophezeiung und als das zionistische Ideal von der
Erlösung des Landes.
Im Rahmen
traditioneller und kultureller (das heißt: zionistischer) Normen
und Werte ist die Anwendung extremer und völlig
unverhältnismäßiger Gewalt – also Vertreibungsaktionen und sogar
Massaker – a priori gerechtfertigt und legitimiert, sie werden
üblicherweise verharmlosend als „Operationen“ bezeichnet. Solch
brutales Vorgehen, das von einer universalistischen Moral aus
überhaupt nicht gerechtfertigt werden kann, erfährt in Israel
seine Legitimation durch die Kriterien der Nützlichkeit und des
Erfolges für den Staat Israel. Auch die schlimmsten und
unmenschlichsten Gewalttaten sind aus zionistischer Sicht
vertretbar, wenn sie für den Staat vorteilhaft sind, also seine
Sicherheit und Moral stärken sowie (bei Vergeltungsaktionen) die
„Würde der Armee“ wiederherstellen. Anders formuliert: Aus
völkerrechtlicher Sicht eindeutige Kriegsverbrechen können nach
zionistischem Verständnis durchaus den Normen und Werten dieser
Ideologie entsprechen.
In diesem
Sinne des Nutzens und Vorteils für den Staat Israel werden auch
die furchtbaren während der Nakba und später verübten Massaker
wie etwa das in dem palästinensischen Dorf Deir Yassin (über 200
Tote) rechtfertigend beurteilt: Sie waren gut für das Entstehen
des israelischen Staates, weil sie die Palästinenser zur Flucht
aus ihren Dörfern getrieben und so die Ansiedlung einer
jüdischen Mehrheit ermöglicht haben. Der damalige Terrorist und
spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin, der selbst
als Anführer an dem Morden dort beteiligt war, hat es so
formuliert: „Ohne das Massaker von Deir Yassin würde es den
Staat Israel nicht geben.“ Schuldgefühle für solche Untaten, ja
Empathie mit den Leiden, die die Zionisten den Palästinensern
bis heute zugefügt haben und weiter zufügen, gibt es nicht. So
etwas kommt in den Schulbüchern nicht vor.
Dass das
Leben von Palästinensern in der „zionistischen Moral“ keine
Rolle spielt, ergibt sich aus dem Gesagten von selbst. Und auch:
dass kollektive Bestrafungen und Tötungen (Liquidierungen) von
Palästinensern ohne Gerichtsurteile zionistischen Normen und
Werten entsprechen. Die Israelin Nurit Elhanan-Peled fasst die
israelische Position so zusammen: „Die zionistisch-israelische
Ideologie, die die jüdischen historischen Rechte auf das Land
Israel/ Palästina, die arabische Bedrohung und die
Notwendigkeit, die Politik der Trennung für die Sicherheit der
Juden beizubehalten, zur Maxime erklärt, legitimiert die
ethnische Ungleichheit und Herrschaft der Juden in Israel,
welche die Grundlage bildet für die Legitimation von Vertreibung
und Massakern.“ Jüdischen Israelis ist eben „alles erlaubt“,
wenn es ihren Interessen nützt. Der Sicherheit der Juden wird
alles untergeordnet, ihre Sicherheit rechtfertigt es sogar,
„sich der ‚Anderen‘ zu entledigen“. (S.271)
Man kann
diese Ideologie, die in israelischen Schulbüchern vertreten
wird, nur als inhuman, wenn nicht als barbarisch bezeichnen. Die
Zionisten empfinden sich aber in bester kolonialistischer Manier
den Palästinensern haushoch überlegen, sie sind die „Vertreter
und Repräsentanten des Westens und daher des Fortschritts,
während die Nicht-Juden oder Araber den Orient und damit den
Rückstand darstellen.“
Der
israelische Historiker Tom Segev, den Nurit Peled-Elhanan
zitiert, hat es so formuliert: „Dies ist die grundlegend Annahme
des zionistischen Projekts seit Beginn: Wir sind die
Repräsentanten der Aufklärung und des Fortschritt, der
rationalen Kultiviertheit und Moral, und die Araber sind ein
primitiver Pöbel, stürmisch und gewalttätig, ignorante Jungs,
die gezähmt und durch unsere Weisheit ausgebildet werden sollten
– und dies, ohne Frage mit der ‚Stock-Karotten-Methode‘, die vom
Eselstreiber angewandt wird, um seine Esel anzutreiben.“ Das ist
noch vorsichtig und zurückhaltend ausgedrückt, denn in
israelischen Schulbüchern werden sehr oft auch die Begriffe
„vertreiben“, „eliminieren“, „sich entledigen“ und sogar
„vernichten“ gebraucht.
Die
israelischen Schulbücher kennen keinen offenen Diskurs, sie
hinterfragen die unhaltbaren Zustände nicht, warum sie so sind,
wie sie sind, und welches der kausale Anteil ist, den Israels
inhumane Politik an ihrer Entstehung hat. Es gibt in diesen
Werken nur eine Wahrheit: die zionistische. Das palästinensische
Narrativ kommt so gut wie nicht vor, und wenn doch, denn völlig
verzerrt. Israels Schulbücher dienen der Legitimation der
Handlungen des Staates, und ihre Botschaft ist die Sprache der
herrschenden Macht. Weicht ein Schulbuchautor einmal von den
vorgebebenen zionistischen Dogmen ab, dann schreitet die
„Wahrheitspolizei“ ein und zieht solche Bücher aus dem Verkehr
bzw. zwingt die Autoren zu Änderungen. Nirit Peled-Elhanan nennt
mehrere Beispiele für solche Eingriffe der Zensur. Diese Bücher
spiegeln also genau die politischen und gesellschaftlichen
Umstände wider, die sie produzieren.
Die Bilanz
der Autorin ist angesichts solcher Fakten denn auch ziemlich
düster. Denn, schreibt sie, nirgendwo in diesen Büchern habe sie
einen Hinweis gefunden auf eine Möglichkeit, Absicht oder einen
Wunschgedanken, um die Situation zu verbessern, den
palästinensischen Bürgern gleiche demokratische Rechte
zuzugestehen oder den Druck aus den palästinensischen Gebieten
zu nehmen, um Frieden zu schaffen, wie man von einem
demokratischen Staat erwarten könnte.“ Frieden ist in diesen
Büchern kein Thema, und wenn das Wort doch einmal erwähnt wird,
dann bedeutet es Aufgabe, Verlust und eine erzwungene Lösung,
nie aber ein gedeihliches Zusammenleben mit den Palästinensern.
Auf Grund
einer solchen ideologischen Indoktrinierung, so die Autorin,
werden die jungen Israelis zur regelrechten Ignoranz über die
wirkliche politische und soziale Realität ihres Landes erzogen,
das heißt: vor allem zur Feindseligkeit und Verachtung gegenüber
ihren unmittelbaren Nachbarn und ihrer Umgebung sowie gegenüber
internationalen Übereinkünften und Gesetzen. Von der großen
jüdischen Philosophin Hannah Arendt stammt der Satz: „Wir können
es uns nicht aussuchen, mit wem wir auf dieser Welt
zusammenleben.“ Wenn man dennoch anfängt zu selektieren, mit wem
man zusammenleben will, dann wird es brandgefährlich – im
wahrsten Sinne des Wortes.
Von dem
universalistischen Gedankengut einer Hannah Arendt oder anderer
großer universalistischer jüdischer Denker findet sich in den
israelischen Schulbüchern keine Spur. Ganz im Gegenteil, dort
wird blanker nationalistischer Hass gepredigt. Die Autorin weist
immer wieder darauf hin, dass die jungen Israelis direkt nach
der Indoktrinierung in den Schulen mit solchem ideologischen
Gift in den Köpfen zum Militär gehen und dann das Gelernte in
den besetzten Gebieten oder in Israels Kriegen in die Tat
umsetzen. Die grausamen Folgen sind bekannt.
Vor allem
deutschen Lesern ist das Buch von Nurit Peled-Elhanan wärmstens
zu empfehlen, weil es einen wichtigen Beitrag dazu leistet,
unser durch die historische Schuld verzerrtes Bild vom Staat
Israel zu korrigieren. Denn hierzulande gilt immer noch der
Mythos von den israelischen Juden als den Opfern der bösen
Araber. Dass es genau umgekehrt ist, belegt dieses Buch.
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