Straßensperren, Checkpoints und
parallele Welten
IWPS
Bericht Nr. 39
Es
ist eine Kunst, sich in der Westbank zu bewegen. Es ist, als ob
parallele Welten bestünden – die Siedlerstraßen und Siedlungen die
nun ein nahtloses Ganzes mit Israel bilden - , und die
palästinensischen Gebiete, beschnitten und mit miserablen
Verkehrsverhältnissen. Es wurde sorgfältig darauf geachtet, dass
sich diese zwei Welten nirgendwo kreuzen. Während es auf der
Landkarte so aussieht, als seien die Straßen verbunden, gibt es
faktisch am Boden keinen Zugang. Von einer zur anderen zu kommen ist
nicht unmöglich, aber schwierig.
Während Palästinenser auf der Straße 446 fahren, flitzen Siedler auf
der neuen Autobahn Nr. 5, die palästinensische Dörfer voneinander
abtrennt und Bauern von ihrem Feld abschneidet. Möchte man von einer
Dorf nahe Qalqilya nach Jayous, so zeigt die Karte, dass man einfach
nach rechts auf die Straße 55 fahren kann, dann etwas nach Osten und
nach einer Abbiegung nach links nordwärts nach Jayous. Eine
Metallbarriere mit Schloss und Riegel zeigt aber, dass das überhaupt
nicht möglich ist. So muss ein Palästinenser auf den
schwierigen Straßen wieder retour und muss einen langen Umweg auf
die 446 machen, die unter der Schnellstraße 55, nur für Siedler
gedacht, unten durchführt. So wird aus einer 15-Minuten-Strecke ein
einstündiges Herumfahren.
Siedler verbringen ihr Leben, indem sie sich bequem, schnell und
geradlinig fortbewegen können, in ihren meist neuen Autos auf
breiten Asphaltstraßen. Palästinenser fahren meist in klapprigen
Autos, die mit Drähten zusammengebunden sind, mit unheimlichen
Geräuschen von kreischenden Stoßdämpfern und Beweisen von kreativen
Arten, Kühler und Achse zusammenzuhalten. Wer eine Weile auf den
alten Landstraßen fährt - meist sind es unbefestigte Straßen voller
Schlaglöcher -, versteht sehr schnell, wie man zu einem solchen
Autoverschleiß kommt. In Wahrheit wundert man sich eigentlich, wie
die Wagen überhaupt noch zusammenhalten und sich fortbewegen.
Palästinensische Autos haben grün-weiße Nummernschilder, und wenn
ein Palästinenser auf einer Siedlerstraße ertappt wird, wird sein
Auto mit großer Wahrscheinlichkeit konfisziert. Manche nutzen die
Chance, um die Reisezeit zu verkürzen Nur Taxifahrer mit
gelbem israelischen Nummernschild und einer speziellen Genehmigung
dürfen auf diesen Straßen fahren.
Die
Schilder auf Siedlerstraßen geben meistens nur die Namen der
israelischen Siedlungen an. Während diese in Hebräisch, Arabisch und
Englisch geschrieben sind, sieht man oft die arabischen
Schriftzeichen heruntergekratzt. Sehr selten sieht man die
Namen der palästinensischen Dörfer angeschrieben, auch wenn man sie
von der Autobahn aus sehen kann. Es wird schwierig werden, einen
lebensfähigen palästinensischen Staat in der Westbank zu schaffen.
Es sieht mehr nach einer Reihe von „Palestans“ aus, ähnlich den
früheren südafrikanischen Bantustans. Während Palästinenser
gezwungen sind, auf den Landstraßen herumzukarren oder zu riskieren,
stundenlang an Checkpoints zu warten, ihre Autos oder Schlüssel für
Stunden konfisziert zu bekommen, haben die Siedler alle
Bewegungsfreiheiten, bequeme Straßen, keine Checkpoints and keine
Angst, ihr Auto zu verlieren.
Um
das Leben der Palästinenser noch schwieriger zu machen, sind vor
fast jeder Dorfeinfahrt Straßensperren. Es sind Hindernisse aus Erd-
und Geröllhaufen und großen Betonblocks. Man muss seine Reise
um sie herum planen. Wer ein Auto hat, muss sich glücklich
schätzen, wenn erst nach 10 Kilometern eine solche Straßensperre die
Weiterfahrt blockiert. Einmal bei einer Straßensperre
angekommen, muss man das Auto zurücklassen, über die Absperrung
gehen und ein Sammeltaxi nehmen, oder bis zur nächsten Straßensperre
zu Fuß weitergehen. Manchmal, besonders in der Früh, wenn sich
die Glücklichen, die noch eine Arbeit haben - meist im
Industriegebiet der Siedlung -, auf den Weg machen, ist das Militär
an der Straßensperre und kontrolliert jede Identitätskarte. Eine
Form der Schikane und um zu zeigen, wer hier die Macht ausübt.
Palästinenser können zurückgehalten werden für einen Tippfehler bei
den hebräischen Buchstaben oder einem anderen speziellen Grund, auch
wenn sie dann zu spät zur Arbeit kommen (oder gerade deshalb?).
Das
Dorf Bruqin hat 9 Straßensperren hintereinander. Taxifahrer tun ihr
bestes, um die Leute so nahe wie möglich zu bringen, fahren über
unüberwindbar scheinende Sperren mit Passagieren, die fürchten, dass
Achse und Stoßdämpfer in Brüche gehen, bevor sie vor den wirklich
unüberwindlichen Hindernissen anhalten. Dann muss man bis zu seinem
Ziel zu Fuß gehen, oder ein neues Taxi rufen. Wenn man entlang der
Straße geht, ist man unmittelbar parallel zur Siedlerstraße und man
kann den Autos zusehen, wie sie vorbeijagen. Es ist ein Ort,
wo man die Apartheidelemente im besetzten Palästina ganz deutlich
erkennt.
Man
lernt die Straßensperren zu überwinden, ob man darüber und daran
vorbei geht. Sie sind nicht immer mit Soldaten besetzt.
Soldaten tendieren dazu, früh am Morgen dort zu sein oder wenn es
Abend wird. Das ist ein Unterschied zu den Checkpoints, die ständig
mit Soldaten besetzt sind, um jeden der ein und ausgeht, zu
kontrollieren.
Eine Fahrt vom Bezirk Salfit nach Jerusalem muss in Abschnitten
zurückgelegt werden. Zuerst nimmt man ein Sammeltaxi zur
Kreuzung Tapuach/Zatara. Der verwendete Name hängt davon ab, in
welcher Welt man sich befindet. Ist man mit Palästinensern
unterwegs, dann heißt die Kreuzung Zatara. Wenn man mit einem
israelischen Siedler fährt, spricht man von Tapuach. Dann geht man
zu Fuß um die Kurve am Checkpoint Zatara vorbei. Die paar Soldaten,
die dort sind, kontrollieren normalerweise keine Ausweise von
Nichtpalästinensern, wie Internationalen oder Siedlern. Von dort
nimmt man ein weiteres Sammeltaxi zum Qalandia Checkpoint.
Meine ersten Erfahrungen dort geben nur einen kleinen Vorgeschmack
der Verrücktheit „Qalandia“.
Qalandia ist ein Flüchtlingslager westlich von Ramallah mit einem
der größten Checkpoints der Umgebung. Ein Jeep fuhr vor unser
Sammeltaxi und zwang unseren Fahrer zum Anhalten. Ein wütender
Soldat schrie den Fahrer an, dass er aussteigen solle. Auch wir
stiegen aus, um zu zeigen, dass Internationale ihn beobachten. Er
aber warf uns nur einen finsteren Blick zu und fuhr weg. Kurze Zeit
später kam er wieder und nahm den Führerschein unseres Fahrers mit.
Wir fanden noch andere Taxifahrer, denen die Führerscheine
weggenommen worden sind und auf die Rückgabe warten. Einer davon
wartete seit 9.30 in der Früh, und zu der Zeit war es schon 5.30 am
Abend, acht Stunden später.
Eine Mitarbeiterin von IWPS telefonierte mit einer israelischen
Menschenrechtsorganisation, um den Fahrern zu ihren Führerscheinen
zu verhelfen. Während wir darauf warteten, dass sich etwas dafür
tut, gingen wir zum Kontrollpunkt, wo die Leute versuchten, nach
Ramallah hinein oder heraus zu kommen und beobachteten die Vorgänge.
Es war eine lange Reihe von Menschen, die darauf warteten,
kontrolliert und durchgelassen zu werden. Eine Frau wurde
aufgehalten, als sie versuchte durchzugehen. Ein Soldat befahl ihr,
zurückzukommen. Ein anderer Soldat, der freundlich zu mir sein
wollte, erklärte mir, dass sie keine Bewilligung habe und versuchen
wolle den Checkpoint zu umgehen. Unser Taxifahrer erklärte uns
später, dass sie gleich außerhalb des Checkpoints wohne. Zweifellos
muss sie oft durch diesen Checkpoint und hatte die endlosen
Wartezeiten satt.
Unser Fahrer bekam seinen Führerschein zurück und wir nahmen wieder
ein anderes Sammeltaxi für den Abschnitt Qalandia – Jerusalem. Auf
dem Weg war ein fliegender Checkpoint mit ein paar Jeeps und
Soldaten, aber wir konnten passieren und kamen schließlich um 8 Uhr
abends an – 3 ½ Stunden nach der Abfahrt (was verhältnismäßig
schnell ist).
Es
gibt so viele Checkpointgeschichten. Berichte über Frauen, die ihre
Kinder an einem Checkpoint zur Welt brachten, Rettungswagen, die
ihre Patienten nicht ins Krankenhaus bringen konnten, weil sie keine
Durchfahrtserlaubnis bekamen. Babies, die an Checkpoints starben.
Kranke Menschen, die an Checkpoints gestorben sind. Es gibt auch die
relativ glückliche Geschichte eines Paares, das am Checkpoint
geheiratet hat. Der Bräutigam, der sich entschieden hatte zu
heiraten, ohne dass sich ihm Checkpoints in den Weg stellten.
Checkpointerfahrungen reichen von freundlichen Soldaten, die
versuchen verschreckte Kinder mit Süßigkeiten zu beruhigen – das
sieht vor anwesenden Internationalen immer gut aus - , bis zu
Soldaten, die wartende Reihen ohne ersichtlichen Grund anschreien.
Studenten, die versuchen, zu ihrer Vorlesungen zu kommen, werden am
einen Tag durchgelassen, am nächsten nicht. Viele Familien
fürchten um das Leben ihrer Jugendlichen, die nach Nablus zur
Universität gehen. Oft werden sie nicht durchgelassen, gehen dann
über die Berge um den Checkpoint herum und riskieren angeschossen,
verletzt oder gar getötet zu werden, da Soldaten sie für
„Terroristen“ halten könnten.
Während der restlichen Welt erzählt wird, dass
Bewegungseinschränkungen gelockert werden, zeigen die Tatsachen das
Gegenteil. Palästinenser brauchen Genehmigungen, um von Gebiet A
(angeblich unter palästinensischer Kontrolle) nach B (angeblich
unter gemeinsamer Kontrolle) zu kommen. Eine weitere Tatsache,
dass das Osloabkommen den Bach hinuntergeht, scheint nichts zu
machen. Sogar wenn man sich eine Genehmigung besorgen konnte – kein
leichtes Unterfangen – garantiert es noch lange kein sicheres
Passieren. Sie können immer noch zurückgewiesen werden.
Es
gibt eine Gruppe israelischer Frauen, die regelmäßig Checkpoints
beobachtet und versucht, die Härte und willkürliche Behandlung zu
verbessern.
Dem
Urteil der Palästinenser zufolge sind Straßensperren und Checkpoints
ausschließlich da, um das Leben schwer zu machen. Sie fragen:
„Wie erklärst du dir sonst einen Checkpoint in Surda, zwischen
Ramallah, einer palästinensischen Stadt, und Birzeit, einem
palästinensischen Dorf, beides palästinensische Gebiete im Gebiet A
mit keinerlei Siedlung dazwischen?“
Text: IWPS, Barbara, July 2003
Übersetzung: Karin
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