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Mag sein,
dass ich bau in der Luft meine Schlösser.
Mag sein, dass mein Gott ist im ganzen nicht da.
Im Traum ist mir heller, im Traum ist mir besser,
im Traum ist der Himmel noch blauer als blau.
Mag sein, dass ich werd’ mein Ziel nicht erreichen.
Mag sein, dass mein Schiff wird nicht kommen zum Steg.
S’geht mir nicht darum, ich soll was erreichen.
S’geht mir um den Gang auf einem sonnigen Weg.
Josef Papiernikoff, 1924
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Reuven
Moskovitz,
Liebe Freundinnen und
Freunde
im Advent 2005
Eigentlich habe ich das Bedürfnis, über Vardas und meine beglückenden
Begegnungen in Deutschland und Rumänien zu erzählen, aber in unseren
Zeiten will man nur Neues hören. Dass es uns gut geht in Deutschland,
ist nicht mehr neu. Aufzuzählen das Schöner-als-Schöne, das uns
widerfahren ist, brauchte mehr als ein paar dürftige Zeilen.
Das
einzig wirklich aufregende Neue geschah in Gaza: die Auflösung der
jüdischen Siedlungen und der angebliche militärische Rückzug.
Als wir
aus Deutschland zurückkamen, haben uns unsere Kinder erleichtert und
begeistert erzählt, wie relativ friedlich und reibungslos die Räumung
durchgeführt werden konnte. Meine skeptische Reaktion darauf hat sie
überrascht, wenn nicht verärgert, war es doch ein einmaliger und
hoffnungsvoller Schritt in der blutigen Geschichte des Konflikts
zwischen uns und den Palästinensern.
"Warum", fragten sie mich, "dürfen wir nicht diesen Rückzug als den
ersten Schritt zum Frieden sehen?"
Meine
Frage aber war: Macht man so Frieden?
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Indem man den demokratisch gewählten Präsidenten Abu Masen völlig
ignoriert – ohne den Versuch, mit seiner Seite zu verhandeln? Arrogant
ging man davon aus, dass die Palästinenser einen ungestörten Abzug
ermöglichen - was in der Tat geschehen ist.
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Indem man die Siedlungen dem Erdboden gleich macht, ohne den
Versuch zu unternehmen, den Palästinensern mit der Übergabe von z.B.
Schulen und Gästehäusern ein Sprungbrett für die weitere
gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung anzubieten? Statt
dessen ließ man absichtlich die Synagogen stehen, um die Palästinenser
vorzuführen als kriminelle Bande, die Heiligtümer schändet. Dabei weiß
jeder Durchschnittsjude, dass eine Synagoge ohne Mesusa und ohne
Thorarollen keine heilige Stätte mehr ist.
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Indem
man versucht , im Gazastreifen knapp anderthalb Millionen Menschen in
ein Gefängnis einzusperren? Sie haben keine Möglichkeit, auf dem See-
oder Luftweg herauszukommen, während an den Grenzübergängen israelische
Soldaten weiter bestimmen, wer passieren darf und wer nicht. Absolut
herzlos hinderte man bald Tausende von Palästinensern daran, durch die
Risse in der Mauer zu schlüpfen, um ihre Verwandten und Freunde hinter
der Grenze zu Ägypten zu treffen. Diese Wege könnten ja missbraucht
werden für Waffenschmuggel...
Condoleezza Rice mußte von Washington einfliegen, um ein Abkommen (oder
ein Diktat) auszuarbeiten, womit der Übergang zwischen Rafah und Ägypten
wieder eröffnet wird. Das drei Monate nachdem Rückzug aus Gaza. Zu
begrüßen ist die Tatsache, dass an der Überwachung des Übergangs
Vertreter der EU teilnehmen werden. Ein hoffnungsvoller Schritt, der
seit Jahrzehnten von meiner Regierung verhindert worden ist.
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Indem
man von Abu Masen fordert, dass er mit Gewalt gegen die gewalttätigen
Terrorgruppen vorgehe, während man doch systematisch die dazu
erforderlichen Polizeikräfte, Verwaltungs - und Wirtschaftsstrukturen
zerstört hat?
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Indem
man in der Westbank trotz einer längeren Phase ohne Anschläge die
brutalen Maßnahmen gegen angeblich Verdächtige fortgesetzt hat?
Hausdurchsuchungen, Festnahmen - vorzugsweise nachts -, "gezielte
Hinrichtungen" von führenden Palästinensern, auch solchen, die sich
öffentlich für einen längeren Waffenstillstand und politische
Mitwirkung im Rahmen der entstehenden Demokratie ausgesprochen hatten?
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Indem
man sich noch immer nicht bereit zeigt, die fast 10 000 politischen
Gefangenen frei zu lassen, die angeklagt sind, blutrünstige Mörder zu
sein? Die Frage der Gefangenen ist für die Mehrheit der Palästinenser
einer der schmerzhaftesten neuralgischen Punkte, was von außen nicht
immer
angemessen wahrgenommen wird: Man nimmt den Eltern die Ehre, einen Sohn
zu
haben,
der Widerständler ist, wenn man ihn einen Kriminellen und Mörder nennt.
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Indem
man fieberhaft weiter die Mauer und den Zaun baut, über die grüne Linie
hinaus weit ins Palästinenserland hinein? Statt 150-200 km wird das
monströse Bauwerk 700 km lang, weil es jüdische Siedlungen einbeziehen,
arabische ausgrenzen soll.
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Indem
man neuerdings offiziell Apartheidsstraßen einführt, die den
Palästinensern die Möglichkeit nehmen, mit ihren Nachbarn zu verkehren?
Sie waren gedacht als Repressalie für einen palästinensischen Anschlag,
der wiederum eine Vergeltung für Hinrichtungen war.
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Indem
man heftig den Ausbau von Maale'Adumim betreibt auf einer Fläche, die
größer ist als der ganze zurückgegebene Gaza-Streifen? Und dies nur, um
die Kontinuität eines eventuellen palästinensischen Staates zu
verhindern; ein arabisches Dorf ist dafür völlig zerstört worden.
Und
dies alles geschah öffentlich, während die Aufmerksamkeit der Welt
abgelenkt war durch den strategisch glänzend gelungenen Rückzug aus Gaza
und während Sharon sich bei den Vereinten Nationen dafür als
Friedensengel beklatschen ließ. In Israel meinten manche im Scherz,
manche im Ernst, dass Sharon für diese Tat den Friedensnobelpreis
erhalten solle.
Angesichts dieser eher verkürzten Aufzählung - stelle ich meinen
"hoffnungsvollen" Kindern, Freunden und Bekannten anheim, zu
entscheiden: bleibt da überhaupt noch Raum für den erhofften Durchbruch
zum Frieden?
Denn
nicht nur die Palästinenser ließen keine Gelegenheit aus, eine
Gelegenheit zu verpassen, auch die israelischen Politiker taten alles,
um Gelegenheiten zum Frieden zu verderben.
Diese
hoffnungslose Politik, genehmigt und gepriesen von weiten Kreisen in
der Welt, bestärkt mich in meiner Euch schon bekannten Auffassung, dass
Hoffnung nur von außen kommen kann, Im vergangenen Jahr aber, in dem
Varda und ich so viel Schönes erlebt haben, ist mir schmerzlich klar
geworden, dass mein Versuch, in Deutschland auf politischer Ebene ein
Umdenken zu erreichen, gescheitert ist.
Seit
ich diesen Brief angefangen habe, ist sehr viel geschehen, was viele als
Hoffnung bezeichnen und ich leider mit großer Skepsis verfolge. Dennoch
wünsche ich, dass die Hoffnungen, entstanden durch die Wahl von Peretz,
als Anführer der Arbeiterpartei, sich bei den künftigen Wahlen
bestätigen werden. Die Fusion zwischen Peres und Sharon möchte ich nicht
kommentieren. Diese zwei „Friedensengel“ haben uns und die Palästinenser
in einen Wirbel von Gewalt und Gegengewalt verstrickt.
Neulich
bekam ich folgenden Gruß:
Ich wünsche Dir
viel mehr Träume, als die Wirklichkeit fähig ist
zu zerstören
Und -
so wage ich einen neuen Traum!
Während
einer Vortragsreise, die Christian Artner-Schädler, der mir ein
vertrauter Freund geworden ist, für Pax Christi organisierte, führte er
mich durch die "Friedensräume" auf der Insel Lindau. Selten hat mich
eine Friedensausstellung so begeistert wie diese. Ich sah nicht ein
Antikriegsmuseum, sondern eine große Werkstatt, in der gezeigt wird, wie
man Frieden lernen kann in den verschiedensten Bereichen, künstlerisch,
politisch, ökologisch, wissenschaftlich.
Die
Gestalter dieser Räume haben sich bereit erklärt, mir zu helfen, solch
ein Projekt für Israel und Palästina zu verwirklichen.
Dazu
werde ich sie Anfang des kommenden Jahres nach Neve Shalom/Wahat Al
Salam einladen, um an Ort und Stelle zu überlegen, wie es in den
geplanten Friedens-Campus zu integrieren wäre.
Ein
solches Projekt kann Antwort geben auf die Frage vieler meiner Freunde,
was sie denn für den Frieden tun können...
Sobald
es klare Konturen angenommen hat, wende ich mich wieder an Euch.
Mit
allen guten Wünschen für Euch zu den Adventstagen grüße ich Euch
herzlich
Reuven
Noch im Dezember
erscheint die 5. Auflage meines Buches . Da Frau Tettenborn momentan in
England wohnt, übernimmt freundlicher Weise mein Freund Adalbert Janssen
den Versand: Klunderburglohne 1, 26736 Uttum Tel.04923/200. Meine
Freunden, die das Buch noch zu Weihnachten verschenken wollen, biete ich
das Buch für 10 Euro an.
Diejenigen, die diesen
Brief per Post erhalten, bitte ich um eine Beteiligung in den
Portokosten.
Reuven Moskovitz
ist Historiker und Mitbegründer des Friedensdorfes Neve Shalom/Wahat Salam
in Israel, eine Siedlung in der israelische Juden und Palästinenser
zusammenleben. Er war Sekretär der Bewegung für Frieden und Sicherheit in
Israel. Seit mehreren Jahrzehnten ist er aktiv in der Friedensbewegung und
um die Verständigung und Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israeli,
aber auch um die deutsch-israelische Versöhnung bemüht. Er ist Preisträger
des Mount Sion Award 2001 und Preisträger des internationalen Aachener
Friedenspreises 2003. Von seinem Buch "Der lange Weg zum Frieden" gibt es
die vierte Auflage.
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