Adolf und Amin
Uri Avnery, 28.Juli 2018
BENJAMIN NETANJAHU ist ein perfekter
Diplomat, ein kluger Politiker, ein talentierter Führer der Armee.
Später ist seinen vielen Talenten noch ein Punkt hinzugefügt worden:
er ist auch ein begabter Geschichten-Erzähler.
Er hat auf eine Frage eine Antwort
gegeben, die Historiker eine lange Zeit lang perplex gelassen hat:
Wann und wie entschied sich Hitler, die Juden vernichten?
Da gab es keine überein-stimmende
Antwort. Da gab es diejenigen, die dachten, dass dies schon in
seiner Jugend in Wien geschah: andere rieten, dass es nach dem 1.
Weltkrieg in München geschah oder als er sein Buch „Mein Kampf“ im
Gefängnis diktierte.
Jetzt hat Bibi die Umstände
aufgedeckt, den genauen Ort und die genaue Zeit.
Es geschah in Berlin, als Adolf
Hitler den Großmufti von Jerusalem, Hadji Muhammad Amin al-Husseini
am 28. November 1941 traf.
Netanjahu hat sich nicht dazu
herabgelassen, uns zu erzählen, wie er zu dieser revolutionären
Entdeckung kam. Es gibt kein Anzeichen im offiziellen Protokoll des
Hitler-Husseini-Treffens, das von Deutschen mit ihrer berüchtigten
Genauigkeit vorbereitet war. Es wird auch nicht vom Mufti selbst in
seinem privaten Tagebuch erwähnt, das von den Westlichen
Geheimdiensten gefunden wurde. Beide Dokumente sind fast identisch.
WAS HAT Netanjahu also entdeckt?
Nach seiner Geschichte hat Hitler
überhaupt nicht über eine Vernichtung der Juden nachgedacht, sondern
nur an ihre Vertreibung aus Europa, vielleicht nach Madagaskar,
damals eine französische Kolonie. Aber dann kam der Mufti und sagte
ihm etwas wie „ wenn du sie vertreibst, werden sie nach Palästina
kommen. Es ist besser, alle in Europa umzubringen.“
„Was für eine wundervolle Idee!“
muss Hitler geantwortet haben, „warum hab ich nicht selbst daran
gedacht?“
Eine umwerfende Geschichte. Das
Problem ist, dass nicht ein Wort wahr ist. Im Jargon dieser
Trump’schen Tage, ist es eine „alternative Wahrheit“. Oder einfach
gesagt, eine komplette Lüge.
Noch schlimmer, es könnte sich gar
nicht so ereignet haben.
Irgendjemand, der eine minimale
Kenntnis von der Periode hat, vom „Geist der Zeit“ und den
Persönlichkeiten, die in diesem Ereignis verwickelt waren, muss
wissen, dass dies ein phantasiertes Ereignis war.
BEGINNEN WIR mit der Hauptfigur:
Adolf Hitler.
Hitler hatte eine solide
„Weltanschauung“. Er nahm sie in seiner Jugend an – es ist nicht
klar, wann und wo. Sie wurde „Anti-Semitismus“ genannt.
Genau „anti-Semitismus“, nicht
„anti-Judaismus“.
Der Unterschied ist bedeutend.
Anti-Semitismus war Teil der Rassentheorie, die behauptete, eine
Wissenschaft zu sein und die in jener Zeit auf der Höhe ihrer
Volkstümlichkeit war.
Dies war nicht nur ein ideologischer
Fimmel, eine Erfindung von Demagogen. Es war ein wissenschaftlicher
Zweig, der vorgab, so objektiv war, sagen wir wie Mathematik oder
Geographie. Die Grundtheorie war, dass jede menschliche Rasse wie
Rassen von Pferden oder Hunden besondere Eigenschaften hat, gute und
schlechte.
Diese „Wissenschaft“ wurde an
Universitäten von respektierten Professoren gelehrt; man führte
Experimente durch, führte Messungen des Schädels durch, analysierte
den Körperbau. Es war alles sehr ernsthaft. Sogar eine Anzahl von
Juden war damit beschäftigt, wie zum Beispiel Arthur Ruppin, der
später eine leitende Persönlichkeit in der zionistischen
Siedlungsorganisation in Palästina wurde.
Nach der deutschen Rassentheorie,
gibt es eine Herrenrasse, die arische, die aus Indien stammt und von
der die Deutschen abstammen und da gibt es eine minderwertige Rasse
wie die „Semiten“ und die Slaven. Nach den Rassen-Theoretikern ist
das nicht eine Angelegenheit von Meinungen. Es ist eine solide
wissenschaftliche Tatsache, eine Tatsache, die nicht geändert werden
kann.
Hitler glaubte an all diesen Unsinn,
wie ein frommer Jude an die HeiligenSchriften. Der Mufti war ein
Semit. Nicht einer von jenen aufrechten Fürsten aus der Wüste, wie
sie in den Geschichten des deutschen Autors Karl-May, in-den
Kinderbüchern vorkommen (Er schrieb vor allem über amerikanische
indianische Häuptlingen), sondern ein fragwürdiger Politiker, der
nicht sehr einnehmend war.
Hitler liebte ihn überhaupt nicht.
Er wollte ihn nicht empfangen, aber seine Propagandaleute drängten
ihn. Schließlich empfing er ihn und sprach anderthalb Stunden mit
ihm, ließ ein Foto machen und wollte ihn nicht noch einmal treffen.
Es war eindeutig nicht der Beginn
einer wunderbaren Freundschaft.
BEI DEM Treffen waren zwei
Übersetzer anwesend. Der Mufti sprach französisch, das er als Junge
gelernt hatte, als er eine Zeit lang Schüler der
„Französisch-jüdischen „Alliance“-Schule war. Der Mufti war auch ein
Student von Cairos al-Azhar-Universität, der berühmten religiösen
Universität, hat dort aber nie seine Studien beendet.
Der Husseini-Clan war der vornehmste
in Jerusalem. Heute mögen es um die 5000 sein. Einer meiner besten
Freunde war Faisal al-Husseini, mit dem ich mehrere Demonstrationen
gegen die Besatzung und für den Frieden machte.
Seit vielen Generationen hielten
Nachkommen der Familie die Position des Mufti – die höchste
religiöse Position in der Stadt, dem dritt-heiligsten Ort im Islam.
Vor ihm waren sein Vater und sein Halbbruder Mufti gewesen. Amin
selbst machte seine Pilgerreise nach Mecca schon als Junge. Daher
der Titel Haj.
Haj Amin war ein natürlicher Führer.
Schon seit seinem frühen Alter war er als arabischer-Nationalist und
politischer Aktivist berühmt. Während des 1. Weltkrieges war er ein
Offizier in der türkischen Armee, war aber in keiner Schlacht und
desertierte. Dann war er aktiv in der arabischen Rebellion des
Sherif von Mecca ( mit „Lawrence von Arabia“) und agitierte für
einen vereinigten Staat von Syrien, Palästina und dem Irak.
Sehr früh sah er die Gefahr der
zionistischen Siedlung in Palästina und rief zum Widerstand auf.
Nachdem Palästina britisch wurde, organisierte der Mufti die
bewaffneten Zusammenstöße von 1921, die man sehr wohl als die Mutter
des Krieges betrachten kann, der bis heute dauert.
Auf der jüdischen Seite dieses
Ereignisses war die herausragende Persönlichkeit von Wladimir (Zeev)
Jabotinsky, der geistige Vater des heutigen Likud, der prophezeite,
dass der arabische Widerstand gegenüber dem zionistischen Projekt
niemals enden wird: kein einheimisches Volk hat jemals ein
kolonialistisches Unternehmen friedlich akzeptiert. (Seine Antwort
war, einen „eisernen Wall“ zu schaffen).
Der erste britische Hochkommissar
von Palästina, der Jude Herbert Samuel hat auf lokalen Druck
nachgegeben und den rebellischen jungen Führer, zum Mufti von
Jerusalem, ernannt, in der Hoffnung, dass du ihn mäßigen würdest. Er
irrte sich. Nachdem er mehrere Runden mit „Zwischenfällen“
organisiert hatte, rief der Mufti zur „Großen Rebellion“ von 1936
gegen die Briten und Zionisten auf, die sich in eine größere
Kampagne mit vielen Todesfällen entwickelte.
Der Mufti musste fliehen, zuerst in
den Libanon, dann in den Irak. Als die Briten sich vorbereiteten,
Bagdad einzunehmen, floh er nach Italien, traf Benito Mussolini,
und hielt eine Rede im Radio Bari an die arabische Welt. Er wurde
gebeten, nach Deutschland zu kommen und bei einer
Propaganda-Kampagne über die arabische Welt zu helfen. Es war
damals, als er Hitler traf.
DER MUFTI bereitete im Voraus eine
Erklärung vor, von der er hoffte, Hitler würde sie unterschreiben.
Es war ein ehrgeiziger Plan für eine vereinigte Republik Palästina,
Syrien und Irak unter deutschem Schutz zu schreiben und für die
Ernennung des Mufti zum Führer der arabischen Welt.
Hitler warf einen Blick auf das
Blatt Papier und legte es beiseite. Er weigerte sich, es näher
anzusehen. Als erstes war Vichy-Frankreich ein Verbündeter
Deutschlands und Hitler wollte nicht den Eindruck erwecken, dass die
französischen Kolonien von Frankreich weggenommen würden. Er mochte
den Mufti auch nicht.
Das einzige, was er versprach, war,
dass wenn die deutschen Armee den südlichen Kaukasus erreichen
würden, dann würde er solch eine Proklamation machen. Zu der Zeit
war die Wehrmacht an den nördlichen Toren des Kaukasus. Ein langer
Weg vom Süden. Sie erreichte ihn nie
Bei dem Gespräch wurden die Juden
überhaupt nicht erwähnt, außer durch eine Bemerkung des Mufti als
„die Briten, Juden und Bolschewiken“ als Feinde genannt wurden und
eine vage Bemerkung von Hitler, dass die „jüdische Frage“ dann
„Schritt um Schritt“ gelöst werden müsse.
Das Treffen wurde fotografiert, wie
auch später das Treffen des Mufti mit den muslimischen Freiwilligen
der Waffen-SS. Insgesamt spielte der Mufti eine geringe Rolle in der
deutschen Propaganda-Bemühung im Zusammenhang mit der arabischen
Welt.
Alles Übrige ist die Frucht einer
lebendigen Einbildung von Benjamin Netanjahu – der acht Jahre nach
dem Ereignis geboren wurde. (dt. Ellen Rohlfs)
(dt. Ellen Rohlfs und
vom Verfasser autorisiert)